242 Unterrichtswesen. (§S. 132.)
Kenntnisse je nach seinen Verhältnissen und seinem Berufszweck erwerbe. Die Regierung
insbesondere des konstitutionellen Staates darf sich nicht gleichgültig verhalten bezüglich
der Erziehung und des Unterrichts der Staatsbürger. Denn die Wohlfahrt des konsti-
tutionellen Staates ist wesentlich abhängig von der dem Staatszweck angemessenen Er-
ziehung seiner Angehörigen 1 und die gedeihliche Entwicklung und Befestigung der Ver-
fassung werden bedingt durch die zweckmäßige Bildung der nachkommenden Geschlechter.
Die Sorge für ein den gerechten Anforderungen entsprechendes Unterrichts-, namentlich
Volksschulwesen sowie die Pflege der Wissenschaften und Künste gehören daher zu den
wichtigsten Aufgaben der Staatsregierung 2; es ist diesem Gegenstand eine so große Be-
deutung für die Entwicklung und das Gedeihen des konstitutionellen Staatslebens zu-
zugestehen, daß es notwendig erscheint, in die Verfassungsurkunde Bestimmungen
aufzunehmen, durch welche das Bestehen eines die Anforderungen des konstitutionellen
Staates befriedigenden Unterrichtswesens gesichert und die bezüglichen Rechte und Pflichten
des Staates, der Gemeinden und der einzelnen Staatsangehörigen ihrem Wesen nach
festgestellt werden.
II. Der preußische Staat hat die hohe Bedeutung des Unterrichtswesens für das
Gesamtwohl zeitig erkannt. Nicht zum geringen Teile verdankt er der Achtung und
Pflege, die er der Wissenschaft gezollt hat, den bedeutenden Zuwachs an Macht und
Autorität. Bereits seit der Reformation machen sich die Verbesserungen des Schul-
wesens bemerkbar.3 Seitdem Preußen von Friedrich I. zum Königreich erhoben und
zugleich der Anfang zu einer inneren Verbindung der verschiedenen brandenburgischen
Länder gemacht worden war, entwickelte sich allmählich die allgemeine Gesetzgebung
für den preußischen Staat auch bezüglich des Schul= und Unterrichtswesens. 3 Das
S. 51 ff.; Heppe, Geschichte des deutschen Volks-
schulwesens, 5 Bde., 1858—1860; Bornhak,
Das preuß. Unterrichtswesen als Staatsinstitut,
im Arch. f. öfftl. N., Bd. IV (1889), S. 101 ff.;
ders., Pr. St. R.2, Bd. III, S. 693 ff.
1 Schon Aristoteles (Pol. V, 9) weist darauf
hin, daß es für den Staat von der höchsten
Wichtigkeit sei, die Jugend gemäß der Landes-
verfassung und in deren Geist zu erziehen. Wenig
vermögen, bemerkt er, selbst die weisesten Gesetze,
wenn nicht durch Erziehung und Gewohnheit
denen, an welche sie gerichtet sind, eine der Staats-
verfassung und ihren Einrichtungen entsprechende
Bildung gegeben wird.
2 Während des Mittelalters ging die Pflege
der Wissenschaft wie die Sorge für den Volks-
unterricht von der Kirche aus. Lange Zeit
waren es allein ihre Diener, die als die aus-
schließlichen Träger der Bildung sich der Geistes-
pflege annahmen. Noch der Westfälische Friede
(Art. V S. 31) betrachtet die „institutio ministe-
riorum scholasticorum“ als ein Annexum der
Religionsübung (vgl. v. Berg, Polizeir., TI. II,
S. 308). Obgleich die Anfänge der Umgestaltung
des Verhältnisses schon früher beginnen, so hat
doch wesentlich erst die Reformation des 16. Jahrh.
die Veränderung herbeigeführt und bewirkt, daß
die Kirche in bezug auf Unterstützung und Pflege
der Wissenschaft und des Unterrichts zurückge-
treten ist und daß die Sorge für Wissenschaft und
Schule hauptsächlich auf den Staat überge-
gangen ist.
3 Nähereshierüber bei Bornhak, Pr. St. R.2,
Bd. III, S. 694 ff.
“ Von den für einzelne Landesteile ergangenen
Verordnungen sind hervorzuheben: für Ost-
preußen die sog. Principia regulativa vom
30. Juli 1736 (vgl. in v. Rönne, Unterrichts-
wesen, Bd. 1, S. 94) und das Ostpreuß. Prov.=
Recht v. 4. Aug. 1801 bzw. 6. März 1802, Zus.
215—225; für Westpreußen die dort gleich-
falls in Kraft getretenen Principia regulativa
und das Westpreuß. Prov.-Recht v. 19. April 1844,
§§. 62—67 (G. S. 1844, S. 103); für die Gesamt-
provinz Preußen die Verordn. v. 30. Nov. 1840
wegen Anwendung der Principia regul. in betreff
der Einrichtung der Landschulen Königl. Patro-
nats in den Provinzen Preußen (G. S. 1841,
S. 11) und die Schulordn. v. 11. Dez. 1845 für
die Elementarschulen der Prov. Preußen (G. S.
1846, S. 1); für Schlesien die kathol. Schul-
regl. v. 3. Nov. 1765 und v. 18. Mai 1801 (vgl.
in v. Rönne, Unterrichtswesen, Bd. I, S. 134
—160); für das Herzogtum Kleve und die Graf-
schaft Mark das Regl. für die reform. Schulen v.
10. Mai 1782 (a. a. O., S. 182 ff. und bei Scotti,
Kleve-märkische Gesetzsammlung, Bd. IV, S. 2189,
Nr. 2239); für Minden und Navensberg die Land-
schulordn. v. 6. April 1754 (N. C. C., I, Suppl.,
Nr. 20). Betreffs der neu- und wiedererworbenen
Landesteile vgl. die betr. Verordnungen aus der
Zeit der Fremdherrschaft, a. a. O., S. 178—
200.
5 Die wichtigsten älteren Verordnungen über
das Schulwesen sind die brandenburgische Visi-
tationsordnung von 1573 (Mylius, C. C. M. 1, 1,
Nr. 7), die kleve-märkischen Kirchenordnungen von
1662 (reformierte) und 1687 (lutherische), die
evangelisch-reformierte Inspektions-Presbyterial-
Klassikal-Gymnasial= und Schulordn. König Fried-
rich Wilhelms I. v. 24. Okt. 1713 (Mylius, C. C.
M. I, 1, S. 447 und Nabes Samml., I, 1,
S. 321), das Edikt v. 9. Okt. 1717 (Mylius, C. C.
M. I, 1, S. 527), das für die Neumark erlassene