Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Zweite Abteilung. (3_2)

Geschichtlicher Überblick. (8. 132.) 245 
gehend von dem Grundsatze, daß die Volksschule zunächst nur eine Fortsetzung oder 
Ergänzung der Familientätigkeit für die Erziehung und Bildung des heranwachsenden 
Geschlechtes, insofern zur Pflege und Ausbildung aller in der Familie berechtigten Ele— 
mente verpflichtet und daher nicht als ausschließliches Eigentum des Staates oder der 
Gemeinde oder der Kirche anzusehen sei, hat die Verfassungsurkunde eine Definition der 
Volksschule als Staats- oder Gemeinde- oder kirchlicher Anstalt vermieden. Da aber 
die Familie im allgemeinen zur Erfüllung dessen, was zum Bestehen des Staates an 
Bildung und Sitte erforderlich ist, nicht ausreicht, geht die Verfassungsurkunde davon 
aus, daß die Volksschule als eine für jedes geordnete Staatsleben unentbehrliche und 
dem Gesamtzweck des Staates dienende Anstalt anzusehen sei, daß daher diejenigen Be— 
stimmungen in die Verfassungsurkunde gehören, welche die Rechte und Pflichten des 
Staates sowie seiner Angehörigen in dieser Beziehung feststellen. Dabei wird als oberster 
Grundsatz das Recht des Staates angesehen, von jedem seiner Glieder diejenige Geistes— 
und sittliche Bildung zu fordern, durch welche die ihm zustehende Ausübung der staats- 
bürgerlichen Rechte bedingt wird. 1 Die Verfassungsurkunde enthält daher Festsetzungen 
nach drei Richtungen: a) über die Verpflichtung des Staates, dafür Sorge zu tragen, 
daß die nötigen öffentlichen Veranstaltungen getroffen werden, vermöge deren jeder Staats- 
angehörige jene Bildung erlangen kann; b) über die Verpflichtung der Staatsangehörigen, 
die öffentlichen Unterrichtsanstalten zu benutzen oder sich anderweit die Bildung zu ver- 
schaffen, die der Staat zu seinem Bestehen von ihnen zu fordern berechtigt ist; c) über 
das Recht, den Unterricht zu organisieren und zu beaussichtigen. 
V. Art. 26 der Verfassungsurkunde verweist auf ein besonderes Gesetz, welches 
das ganze Unterrichtswesen regelt, bzw. in der heute geltenden Fassung auf den Weg 
der Gesetzgebung. Jene Verheißung enthielt schon Art. 23 der oktroyierten Verfassungs- 
urkunde v. 5. Dez. 1848.4 Der Minister v. Ladenberg hatte die ausdrückliche Zu- 
sicherung erteilt, daß das in Aussicht gestellte, das ganze Gebiet des Unterrichts um- 
fassende Gesetz im Februar 1849 den Kammern vorgelegt werden solle 5; als jedoch die 
Vorlegung unterblieb und am 10. März 1849 ein besonderer Antrag darauf gestellt 
wurde, erklärte der Minister zwar wiederholt, daß diese erfolgen solle, entschuldigte in- 
des die Verzögerung durch die Schwierigkeiten, welche sich bei der Beratung über den 
Gesetzentwurf herausgestellt hätten.5 In der Tat wurden auch Vorarbeiten dazu unter- 
nommen' und noch während der Beratungen der Kammern über die Revision der 
  
1 Vgl. die amtlichen Erläuter, des Min. v. Laden- 
berg, S. 17. 
2 Ges. v. 10. Juli 1906, G. S. 1906, S. 333. 
3 Clausnitzer, Geschichte des preuß. Unter- 
richtsgesetzes 5, 1892. 
Art. 25 des Entw. der Verf. Komm. der Nat. 
Verf. bestimmte: „Ein Unterrichtsgesetz regelt das 
ganze öffentliche Unterrichtswesen auf Grund 
vorstehender Bestimmungen.“ Dagegen 
hatte bereits die Zentralabteilung der Nat. Vers. 
(im Art. 25 ihres Entw.) die Fassung ange- 
nommen: „Ein besonderes Gesetz regelt das ge- 
samte Unterrichtswesen.“ Diese Fassung hat die 
Verf. Urk. übernommen, weil in einem Unter- 
richtsgesetze nicht nur das öffentliche, sondern 
das gesamte Unterrichtswesen zu berücksichtigen 
sei. Uberdies sei der §. 25 des Entw. der Verf. 
Komm, der Nat. Verf. deshalb mangelhaft, weil 
die Verfassung über alle anderen öffentlichen 
Unterrichtsanstalten als die öffentlichen Volks- 
schulen nichts bestimmt habe, als daß sie von 
jeder kirchlichen Aufsicht frei sein sollen, die Bezug- 
nahme auf die „vorstehenden Bestimmungen“ sich 
aber für die öffentlichen Volksschulen von selbst 
verstehe (ogl. die angeführten amtl. Erläuter., S. 32). 
Seit dem Ges. v. 10. Juli 1906 hat Art. 26 die 
  
Fassung: „Das Schul= und Unterrichtswesen ist 
durch Gesetz zu regeln. Bis zu anderweiter ge- 
setzlicher Regelung verbleibt es hinsichtlich des 
Schul= und Unterrichtswesens bei dem geltenden 
Rechte.“ Vgl. Anschütz, Verf. Urk. S. 487 ff. 
5 Vgl. die amtlichen Erläuter, des Min. v. Laden- 
berg, S. 35, desgl. den Min. Erl. v. 14. Dez. 
1848 (M. Bl. d. i. Verw. 1848, S. 367), auf welche 
auch in der Thronrede v. 26. Febr. 1849 (Stenogr. 
Ber. der aufgelösten 2. K., S. 1) hingewiesen 
worden ist. 
6 Stenogr. Ber. der (aufgelösten) 2. K., S. 108 
—110. 
* Sehr bald nach den Märzereignissen des 
IJ. 1848 hatte der Min. d. geistl. Ang. Graf 
v. Schwerin die Berufung von Lehrerkonferenzen 
zur Beratung über die Organisation der Volks- 
schule und über die Stellung der Lehrer ange- 
ordnet. Die aus diesen Konferenzen hervorge- 
gangenen Anträge wurden dem Min. d. geistl. Ang. 
eingereicht (vgl. die Zusammenstellung derselben in 
der amtlichen Schrift: Uber die Gesetzgebung auf dem 
Gebiete des Unterrichtswesens in Preußen, S. 126 
—134). Nachdem der Min. v. Ladenberg das 
Min. d. geistl. Ang. übernommen hatte, berief er 
eine Konferenz von Direktoren und Lehrern an
	        
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