Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Zweite Abteilung. (3_2)

250 Unterrichtswesen. (8. 132.) 
wiederholen, und sich damit begnügt, einzelne Gegenstände des Unterrichtswesens durch 
Spezialgesetze 1 zu ordnen, deren Inhalt in der folgenden Darstellung näher darzulegen 
sein wird. Schließlich ist bei Gelegenheit der Beratungen des Volksschulunterhaltungs- 
gesetzes die Verheißung des Art. 26 der Verfassungsurkunde, daß ein besonderes Gesetz 
das ganze Unterrichtswesen regeln werde, vollständig fallen gelassen worden, indem 
Art. 26 durch die sogenannte „lex Schiffer“ v. 10. Juli 1906 (G. S., S. 333) 
die Fassung erhalten hat: „Das Schul= und Unterrichtswesen ist durch Gesetz zu regeln. 
Bis zu anderweiter gesetzlicher Regelung verbleibt es hinsichtlich des Schul= und Unter- 
richtswesens bei dem geltenden Rechte.“ 
VI. Unter den lbergangsbestimmungen der Verfassungsurkunde fand sich (Art. 112) 
die Bestimmung, daß es „bis zum Erlaß des in Art. 26 vorgesehenen Gesetzes hin- 
sichtlich des Schul= und Unterrichtswesens bei den jetzt geltenden gesetzlichen Bestim- 
mungen bewendet“. Dadurch waren die Bestimmungen der Verfassungsurkunde über 
das Schul= und Unterrichtswesen vorläufig für suspendiert erklärt, so daß für die 
in den Art. 21—25 der Verfassungsurkunde behandelten Gegenstände nicht die Bestim- 
mungen dieser Artikel, sondern die Vorschriften der vor Erlaß der Verfassungsurkunde 
geltenden Gesetze zur Anwendung kamen. Durch das Gesetz v. 10. Juni 1906 # ist 
Art. 112 der Verfassungsurkunde zwar aufgehoben, die Suspension der Art. 21—25 
der Verfassungsurkunde aber dadurch aufrecht erhalten worden, daß in Art. 26 der Satz 
aufgenommen wurde: „Bis zu anderweiter gesetzlicher Regelung verbleibt es hinsichtlich 
des Schul= und Unterrichtswesens bei dem geltenden Rechte“.“ Die Suspension der 
Bestimmungen der Art. 20—25 ist jedoch keine unbedingte. Die in Art. 26 verheißene 
gesetzliche Regelung des Unterrichtswesens kann nämlich nur die Organisierung des Schul- 
und Unterrichtswesens auf der Grundlage der Vorschriften der Art. 20—25 zur Auf- 
gabe haben; keinesweges aber kann und darf sie die durch die Art. 20—25 bereits 
verfassungsmäßig festgestellten Grundsätze anders gestalten.* Insoweit also die Grund- 
sätze der Art. 20—25 zu ihrer Verwirklichung gar keines weiteren Organisationsgesetzes 
bedürfen, sind sie als durch Art. 112 (jetzt Art. 26, Satz 2) nicht suspendiert 
zu erachten 5, sondern es tritt an sich auch bezüglich der vor Erlaß der Ver- 
  
1 Anschütz a. a. O., S. 471, 479, 480, 490, 
491 
2 Eine solche Bestimmung war weder in der 
oktroy. Verf. Urk. v. 5. Dez. 1848 noch in einer 
der früheren Vorlagen enthalten. Der Art. ist 
vielmehr bei der Revision der Verf. Urk. zuerst 
von der 2. K. auf Antrag des Abgeordn. Stiehl 
und demnächst auch von der 1. K. angenommen 
worden. Der Min. v. Ladenberg erklärte sich 
deshalb dafür, weil vor Erlaß des Unterrichts- 
gesetzes die betr. Bestimmungen der Verf. Urk. 
nicht überall ausführbar seien (vgl. die Stenogr. 
Ber. der 2. K. 1849—50, Bd. III, S. 1261—62 
und der 1. K., Bd. IV, S. 1969—70, desgl. 
v. Rönne, Verf. Urk., S. 216). Die Erfahrung 
hat übrigens bewiesen, daß die bereits damals von 
dem Abgeordn. Reichensperger (Stenogr. Ber. 
der 2. K., a. a. O., S. 1261) ausgesprochene Ansicht 
vollkommen begründet war, „daß durch diesen 
Zusatzartikel die ganze Materie der Verfassung 
über das Schul= und Unterrichtswesen in Frage 
gestellt werde, da es dann lediglich von dem Veto 
der Regierung abhänge, ob jemals ein Unterrichts- 
gesetz zustande kommen und die Verfassungsbe- 
stimmungen verwirklicht würden oder ob sie wegen 
des Nichtzustandekommens des Unterrichtsgesetzes 
fortgesetzt suspendiert bleiben, in der Tat also 
annulliert werden sollen“. Der Min. v. Laden- 
berg hatte schon in dem Erl. v. 14. Dez. 1848 
(M. Bl. d. i. Verw. 1848, S. 376) ausgesprochen, 
  
„daß die Verf. Urk. in Hinsicht des Unterrichts- 
wesens nur leitende Grundsätze aufstelle und daß 
es sich von selbst verstehe, daß diese nur durch das 
in der Verf. Urk. gleichfalls in Aussicht gestellte 
umfassende Unterrichtsgesetz im Zusammenhange 
verwirklicht werden könnten, bis zu dessen Erlaß 
daher die bestehenden Einrichtungen unverändert 
in Kraft blieben“. Art. 112 ist dann angenommen 
worden, um jedem Zweifel hierüber zu begegnen. 
Vgl. Anschütz a. a. O. S. 488f. 
2 G. S. 1906, S. 333. Zum folgenden An- 
schütz a. a. O., S. 489 ff. 
4 „Das Ges. v. 10. Juli 1906 hat nur for- 
melle und zwar deklaratorische Bedeutung.“ An- 
schütz a. a. O., S. 489. 
5 Anschütz a. a. O. S. 368: „Diese Bestim- 
mungen sind demnach, was die Normen der Ver- 
fassung sonst und im allgemeinen nicht sind: sie 
sind vorerst und bis auf weiteres — bis zu ihrer 
Ein= und Ausführung durch die Spezialgesetz- 
gebung — bloße Direktiven für den Gesetz- 
geber freilich nicht unverbindliche, sondern rechts- 
verbindliche Direktiven, von denen bei der gesetz- 
lichen Regelung des Schul= und Unterrichtswesens 
nur unter Anwendung des für Verfassungsände- 
rungen vorgeschriebenen Verfahrens abgewichen 
werden darf“. Vgl. auch S. 488 ff. 
5 Ebenso v. Schulze, Pr. St. R.2, Bd. II, 
S. 338; Rintelen, Die Volksschule Preußens 
in ihrem Verhältnis zu Staat und Kirche,
	        
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