Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Zweite Abteilung. (3_2)

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Unterrichtswesen. 
G. 133.) 
welche Richtung sie nehmen solle.1 Art. 20 soll also insbesondere den verfassungs- 
mäßigen Schutz gewähren gegen Ubergriffe der Staatsgewalt in das Gebiet der freien 
Wissenschaft und ihrer Lehre2; er soll zugleich auch die Lernfreiheit garantierens. Da- 
gegen folgt aus Art. 20 keineswegs eine schrankenlose Lehrfreiheit; sowenig die Preß- 
  
spruch" stehend. „Deunn die angestrebte Pflicht 
zur Durchführung strikter Parität der — berück- 
sichtigenswerten — „Richtungen“ mutet den Or- 
ganen der Unterrichtsverwaltung eine Kognition 
über Dasein und Bedeutung von wissenschaft- 
lichen Bewegungen zu, der sie nicht sowohl faktisch 
nicht gewachsen wären, zu deren Ausübung sie 
auch, und gerade wenn man das Prinzip der 
Freiheit der Wissenschaft anerkennt, weder befugt 
noch berufen sind. Ob jemand fähig und würdig 
sei, ein staatliches Lehramt zu bekleiden, kann nur 
im Einzelfalle nach den sachverständig zu prüfen- 
den wissenschaftlichen Leistungen und der Perfön- 
lichkeit des Betreffenden entschieden werden.“ 
(S. 378). 
1 „Die Wissenschaft — bemerkt hierüber Blunt- 
schli, Allgem. St. R., 5. Aufl., Bd. II, S. 330 
— ist nicht eine Tätigkeit und Offenbarung des 
Staates, sie ist die Frucht der Arbeiten, welche 
der unsterbliche Geist der Individuen von sich 
aus, getrieben von dem Durste nach Wahrheit 
und im Bewußtsein seiner Abstammung von Gott, 
der Quelle und Erfüllung aller Wahrheit, freien 
Mutes entnimmt. Dem Staate kann daher auf 
diesem Gebiete so wenig als auf dem der Reli- 
gion Herrschaft zukommen. Der Staat hat 
keine Macht und kein Recht, den Inhalt der Wissen- 
schaft zu bestimmen, noch die mancherlei Wege, 
auf denen der Geist der Individuen sich der Wahr- 
heit zu nähern versucht, abzusperren. Freiheit der 
individuellen Wissenschaft ist somit ein göttliches 
Grundgesetz, das der Staat zu achten die Pflicht 
hat.“ — Koch (Komm. zum A. L. R., II, 13, 
Anm. Ba)h erläutert den Satz des Art. 20 dahin: 
„Die Wissenschaft und ihre Lehre soll weder von 
dem Staate, noch von der Kirche beeinflußt wer- 
den, es sollen weder von der einen, noch von der 
andern Autorität bestimmte Lehrsätze oder Lehr- 
bücher vorgeschrieben, noch verboten werden 
können; der von Stahl ausgesprochene Satz: 
„die Wissenschaft muß umkehren“, d. h. sie muß 
sich wieder unter die Leitung und Zensur des 
Staates, bzw. der Kirche stellen, ist verdammt; 
es soll kein Gelehrter wegen von ihm aufgestellter 
Lehrsätze jemals wieder verketzert und zum Wider- 
ruf genötigt werden dürfen.“ Vgl. Grotefend, 
Das D. St. R. der Gegenwart, §. 138. — Hierzu 
bemerktjedoch mit Recht Anschütz a. a. O., S. 377: 
„Die „Rechte der Preußen“ ziehen Schranken 
zwischen Staat und Individuum, nicht zwischen 
den Religionsgesellschaften und ihren Mit- 
gliedern. Die Frage also, welche kirchen- 
rechtlichen Beschränkungen der Lehr= und For- 
schungsfreiheit bestehen mögen, welche besonderen 
Pflichten etwa dem staatlich angestellten Professor 
der Theologie aus seiner Kirchenmitgliedschaft und 
der aus ihr (nicht aus dem staatlichen Lehramt) 
folgenden Bekenntnisgebundenheit erwachsen und 
welche Befugnisse der Kirche zustehen, um die 
Erfüllung dieser Pflichten zu erzwingen, läßt 
Art. 20 unberührt.“ 
  
2 In dieser Beziehung ist namentlich zu ver- 
weisen auf die Bevormundungen der Universitäten 
und die rein polizeiliche Beaufsichtigung der Uni- 
versitätslehrer, welche durch den Beschluß des D. 
Bundes v. 20. Sept. 1819 eingeführt und wo- 
durch es als die Aufgabe der überall zu bestellen- 
den Regierungsbevollmächtigten (§. 1) be- 
zeichnet wurde, „den Geist, in welchem die 
akademischen Lehrer bei ihren öffentlichen und 
Privatvorträgen verfahren, sorgfältig zu beob- 
achten und denselben eine heilsame Rich- 
tung zu geben“. Auch machten sich (§. 2) 
die Bundesregierungen verbindlich: „Universitäts- 
und andere öffentliche Lehrer, die durch erweis- 
liche Abweichung von ihrer Pflicht oder Uber- 
schreitung der Grenzen ihres Berufes, durch 
Mißbrauch des rechtmäßigen Einflusses auf die 
Gemüter der Jugend, durch Verbreitung verderb- 
licher, der öffentlichen Ordnung und Ruhe feind- 
seliger, oder die Grundlagen der bestehenden 
Staatseinrichtungen untergrabender Lehren ihre 
Unfähigkeit zur Verwaltung des ihnen anver- 
trauten Amtes an den Tag gelegt haben, von 
den Universitäten und sonstigen Lehranstalten zu 
entfernen (vgl. v. Rönne, Unterrichtswesen, Bd. II, 
S. 378 ff.). Dieser Bundesbeschluß war, als zu 
den sog. Ausnahmegesetzen gehörig, formell schon 
durch den Bundesbeschluß v. 2. April 1848 als 
beseitigtzu erachten (vgl. a.a. O., S. 396; Zachariä, 
Deutsches Staats= und Bundesrecht, Bd. I, S. 
249 ff., Bd. II, S. 382; Zöpfl, Grundsätze, 
Bd. II. S. 616; Anschütz a. a. O., S. 374). 
Diese extensive Auslegung des Art. 20 ist 
allerdings nicht unbedenklich. v. Rönne bemerkte 
hierzu in der 4. Aufl. dieses Werkes (Bd. II, S. 
453, Note 2): „Daher widerstreiten dem Grund- 
satze des Art. 20 alle Verbote des Besuchs 
fremder Universitäten, wie sie in Preußen 
mehrfach ergangen, aber später wieder aufgehoben 
worden sind (vgl. die älteren Edikte v. 14. Okt. 
1749, 2. März 1750 und 19. Juni 1751, sowie 
die Bekanntmachung v. 24. Okt. 1783, welche 
durch die Kab. O. v. 13. April 1810 aufgehoben 
wurden; desgl. die Kab. O. v. 6. April u. 28. Juli 
1819, v. 21. Mai 1824 und v. 20. Mai 1833, 
v. 18. Dez. 1834 und 21. Nov. 1836, sowie deren 
Wiederaufhebung durch die Kab. O. v. 13. Okt. 
1838, s. in meinem Unterrichtswesen, Bd. II, 
S. 537—538). Auch die Kab. O. v. 3. Jan. 1842 
(G. S. 1842, S. 77) über den nur unter Ge- 
nehmigung des Min. d. geistl. usw. Ang. zulässigen 
Besuch der Universitäten Zürich und Bern ist mit 
dem Art. 20 der Verf. Urk. nicht vereinbar und 
durch den Allerh. Erlaß v. 15. Juli 1867 (G. S. 
1867, S. 1262) wieder aufgehoben.“ Dagegen 
Anschütz a. a. O., S. 378: „Dies ist irrtümlich. 
Art. 20 proklamiert Lehr freiheit, nicht Lern frei- 
heit; beides ist nicht dasselbe. Die Frage ist 
heute insoweit gegenstandslos, als die vormärz- 
lichen Universitätsverbote seither sämtlich aufge- 
hoben sind.“
	        
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