Organisation und Beaufsichtigung.
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Die Bestimmung! des ersten Satzes des Art. 24 ist aber auch dahin aufgefaßt
worden, daß sie den Zweck habe, den Grundsatz auszusprechen, daß in der Regel der
Einrichtung von Konfessions schulen der Vorzug gegeben werden soll, so daß also
Simultanschulen nur ausnahmsweise da einzurichten seien, wo sie sich nicht vermeiden
lassen.?
Es ist bekannt, daß das Schulwesen des Mittelalters als ein Teil und Aus-
fluß des Lehrberufes der Kirche entstanden ist und daß die Reformation dieses Verhältnis
zunächst unverändert gelassen hat. Die kirchliche Schule evangelischen wie katholischen
Bekenntnisses beruht auf den vier Merkmalen, a) daß der Religionsunterricht ihr Haupt-
gegenstand ist, b) daß alle Lehrgegenstände, auch außer dem Religionsunterrichte den
höchsten Religionswahrheiten und dem Erziehungszwecke der kirchlichen Lehre untergeordnet
geändert, daß die Religionsgesellschaften den reli-
giösen Unterricht „leiten" sollen. Die Staats-
regierung erklärte sich im wesentlichen aus den
oben im Texte angegebenen Gründen für die
Ansicht, daß der Religionsunterricht den Volks-
schulen nicht entzogen werden dürfe. Die amtl.
Erläuter, des Min. d. geistl. Ang. v. Ladenberg
(S. 29—31) entwickeln dies näher. Sie zeigen
die praktische Unausführbarkeit der Erteilung des
genügenden Religionsunterrichts außerhalb der
Schule durch die Geistlichen der betr. Religions-
gesellschaften, indem dies schon wegen der Ent-
fernung vieler Gemeinden vom Wohnorte der
Geistlichen und wegen der anderweitigen Berufs-
geschäfte der letztern unmöglich sei. Sie ent-
wickeln ferner die Nachteile der Aussonderung
des Religionsunterrichts für die Gestaltung des
Volksschulwesens in äußerer und innerer Be-
ziehung. In ersterer Hinsicht zeigen sie die enge
Verbindung, in welcher die zum großen Teil von
der Kirche ausgegangene Volksschule mit dieser
und den kirchlichen Mitteln steht, die ihr infolge
der Trennung entzogen werden würden; dies
würde aber ihr gedeihliches Fortbestehen gefähr-
den. Die weitere Folge werde das Entstehen
eigener Religionsschulen als Konkurrenz=
schulen gegen die religiös-indifferenten Gemeinde-
schulen, und damit ein gefährlicher Kampf sein.
Abgesehen von diesen Gründen widerspreche aber
die Trennung auch der Sitte, Gewohnheit und
Anschauung des deutschen Volkes, wonach die
Volksschule nicht bloß eine Summe von tech-
nischen Fertigkeiten und Kenntnissen den Kindern
beizubringen bestimmt sei, sondern gleichzeitig
Geist, Herz und Charakter zu bilden habe. — Die
Rev. Komm. der 2. K. hat sich über die Frage in
ähnlicher Weise geäußert (vgl. Stenogr. Ber. der
2. K. 1849—50, Bd. III, S. 1197). Vgl. die
Verhandl. darüber in der Sitz. der 1. K. v. 6. Okt.
1849 in den Stenogr. Ber. 1849—50, Bd. III,
S. 1058 ff., und in der Sitz. der 2. K. v. 19. Nov.
1849 in den Stenogr. Ber. 1849 —50, Bd. III,
S. 1232 ff.
1 Die nachstehenden Ausführungen v. Rönnes
sind, obwohl sie durch die neuere Entwicklung
überholt sind, wegen ihrer prinzipiellen Bedeu-
tung inhaltlich unverändert wiedergegeben.
2 Der Min. d. geistl. Ang. v. Ladenberg
hat sich zugunsten der konfessionellen
Schulen ausgesprochen, indem er darauf hinwies,
daß dieselben nach der Ansicht tüchtiger Techniker
vom Standpunkte des Unterrichts aus den Vorzug
vor Simultanschulen verdienten, was auf dem
kirchlichen Gebiete unzweifelhaft sei. Zugleich
v. Rönne-Zorn, Preuß. Staatsrecht.
5. Aufl. III.
bemerkte er, daß da, wo eine Konfession den
Charakter einer Schule bestimmt und in der
Schule meist nur Kinder einer Konfession vor-
handen sind, eine wesentliche Spaltung der Reli-
gion wegen vermieden werde, die sonst leicht her-
vortrete. Uberdies äußere sich der Einfluß des
religiösen Elementes nicht bloß im Religions-
unterricht, sondern auch in vielen anderen Unter-
richtsgegenständen, und es sei schwierig, in Simul-=
tanschulen die notwendige Scheidung im Unter-
richt, welche durch das religiöse Element bedingt
wird, so eintreten zu lassen, daß nicht die eine
oder die andere Konfession verletzt werde. Der
Minister erklärte ferner, daß es da, wo die
Simultanschule unvermeidlich sei, die Aufgabe der
Regierung sei, wenn einzelne Religionsgesell-
schaften in Simultanschulen ihren Einfluß in den.
gesetzlichen Grenzen geltend machen wollen, den-
selben zu sichern. Er hob noch hervor, daß die
Regierung, wo es die Verhältnisse gestatteten, den
Wünschen auf Errichtung von konzfessionellen
Schulen nicht zu widerstreben habe, weil sonst die
Kirche sich ihre Schulen selbst schaffen werde,
wozu sie vermöge der verfassungsmäßigen Unter-
richtsfreiheit befugt sei, so daß also die schon be-
stehenden Kirchenschulen als Privatanstalten be-
stehen bleiben würden, während die Gemeinden
besondere Schulen zu errichten hätten. Um aber
den hieraus hervorgehenden Nachteilen vorzu-
beugen, sei es zweckmäßig, die konfessionellen
Schulen als solche festzuhalten; denn dann sei es
möglich, die konfessionellen Schulen der Kirche,
wenn sie den allgemeinen Anforderungen genügten,
zugleich als Gemeindeschulen zu konstituieren.
Ubrigens verwies der Minister in dieser Beziehung
auf das zu erlassende Unterrichtsgesetz mit dem
Bemerken, daß Konfessionsschulen nur da gebildet
werden könnten, wo dies nach der Zahl der Kinder
möglich sei, weshalb das Unterrichtsgesetz fest-
stellen werde, wie viele Kinder vorhanden sein
müssen, um konfessionelle Schulen errichten zu
können, und wie die Kinderzahl sich gestalten.
müsse, um die Simultanschule zu begründen. Wo
aber die Bevölkerung in einer Weise gemischt sei,
daß eine Konfessionsschule nicht eingerichtet werden
könne, sei es die Aufgabe des Staates, für den
religiösen Unterricht der verschiedenen Teile unter
Mitwirkung der betr. Religionsgesellschaften so zu
sorgen, daß er nicht vernachlässigt werde (Stenogr.
Ber. der 2. K. 1849—50, Bd. II, S. 1234, und
der 1. K., Bd. III, S. 1055 u. 1074). Uber die
Ansichten des Min. d. geistl. Ang. v. Bethmann-
Hollweg hierüber vgl. Stenogr. Ber. des A. H.
1860, Bd. II, S. 880 ff.
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