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weitverbreitete Ansicht zu verwerfen, welche das Wesen der politischen Gemeinden darin
findet, daß dieselben in sich eine doppelte Eigenschaft verbinden, indem sie als Persönlich-
keiten, „die um ihrer selbst willen“ existieren, eine vom Staate unabhängige Erfistenz
führen und eigene Aufgaben erfüllen, „aber zugleich Glieder des Staates, Mitträger
der Staatspersönlichkeit“ sind, indem sie „öffentlich -rechtliche Korporationen mit einer
eigenen, nicht erst vom Staate übertragenen Persönlichkeit“ sind, „aber zugleich dem
Staate als Grundlage und Stütze dienen“. 1 — Keine politische Gemeinde kann eine
vom Staate unabhängige Existenz führen. Ihre Existenz ist stets eine abgeleitete,
eine im Willen des Staates begründete. Dies schon wegen ihrer Eigenschaft als
juristische Person. Die juristische Persönlichkeit muß einem Rechtsgebilde stets erst vom
Staate verliehen werden, ist also niemals ein eigenes Recht ihres Trägers, mag der
Staat die Korporationsrechte im konkreten Falle direkt erteilen oder im Gesetze allgemein
aussprechen, unter welchen Voraussetzungen er eine Personenvereinigung als juristische
Person ansehen will. Keine politische Gemeinde hat ferner eigene, d. h. nicht staatliche,
dem Staate fremde Aufgaben zu erfüllen. Es giebt keine öffentlich-rechtliche Kommunal=
aufgabe, an deren Verrichtung der Staat nicht irgendwie interessiert wäre, die er seinem
Wesen nach nicht selbst besorgen könnte, ja die er zur Verwirklichung seiner Zwecke nicht
selbst besorgen müßte, wenn die Kommunalverbände seine Thätigkeit hier nicht ersetzen
würden. — Wie jeder Selbstverwaltungskörper so sind auch die Kommunalverbände nicht
„um ihrer selbst willen“, sondern nur im Interesse des Staates vorhanden. Ist es auch
richtig, daß viele der heutigen Ortsgemeinden sich zunächst von selbst durch korporative
Organisation räumlich zusammenwohnender Bevölkerungsgruppen gebildet haben und älter
sind als der Staat, so folgt daraus doch noch nicht, daß sie gegenwärtig kraft eigenen
Rechtes als Kommunalverbände existieren. Als solche sind sie rechtlich ein Geschöpf des
Staates. Erst der moderne Staat hat sie durch freien Willensentschluß in diese Rechts-
stellung gebracht, nachdem er sie gleich allen anderen vorgefundenen korporativen
Organisationen sich untergeordnet hatte.
Alle öffentlich -rechtlichen Funktionen der Kommunalverbände sind heute also staat-
liche. Ihr ganzer Wirkungskreis ist ihnen vom Staate übertragen und durch
Staatsgesetze im allgemeinen fixiert.) Innerhalb der ihnen durch letztere angewiesenen
Rechtssphäre sind sie selbständig, sie haben ein Recht darauf, den Staat innerhalb
dieser zu vertreten und die in diese fallenden Verwaltungsaufgaben nach eigenen
Beschlüssen, durch eigene Organe und aus eigenem Vermögen zu erledigen; das
Hauptmittel aber, dessen sie sich zur Durchführung ihrer Aufgaben bedienen müssen,
das Herrschaftsrecht über ihre Angehörigen, welches seinen wesentlichsten Ausdruck in der
kommunalen Finanzgewalt findet, ist wieder nicht mehr ihr eigenes Recht, sondern zur
Ausübung übertragene Staatsgewalt. Daher entbehrt auch die übliche Scheidung der
Gesamtthätigkeit der Kommunalverbände in einen eigenen und einen übertragenen
Wirkungskreis“ rechtlich jeder Bedeutung. Es fehlt überhaupt an einem durch-
schlagenden Kriterium, nach welchem sich aus der Natur der Kommunalverbände oder
der des Staates entscheiden ließe, in welchen Wirkungskreis eine konkrete Angelegenheit
fällt. Das von Rosin als solches angeführte Moment, nach welchem es darauf an-
kommen soll, ob die Gemeinde ein Hoheitsrecht zur Verwirklichung ihres eigenen Lebens-
1 So besonders Schulze, S. 439 u. 448; der Steuerreformgesetze, S. 41: „Die Gemein-
ähnlich auch Gerber, Grundzüge des deutschen
Staatsrechts (3. Aufl., 1880), S. 63, und Gierke,
Genossenschaftsrecht, I, S. 782, wo die Kommunal=
verbände nicht als Organe des Staates, sondern.
als Gemeinwesen „mit eigenem Lebensberuf“
bezw. „mit einer ihnen selbst entstammenden
rechtlichen Bedeutung“ bezeichnet werden, denen
deshalb auch eigentümliche von den Staats-
aufgaben verschiedene Aufgaben zukommen. Vgl.
ferner Rosin, in Hirths Ann., S. 291.
3# Löning, S. 1 ff.; Bornhack, St. R., II,
S. 101 ff.
* Sehr eichtig heißt es in der Denkschrift zu
den 1892 dem Landtage vorgelegten Entwürfen
den leiten das Besteuerungsrecht vom Staate
her, und dieser hat vermöge seiner Steuerhoheit
auch die Voraussetzungen und Grenzen zu be-
stimmen, unter und in welchen die Ausübung
jenes Tobeitsrechte den Kommunen gestattet
ist.“ A. H., Drucks. 1892/93, Nr. 8.
* Vg l cchulzelS453Gterke,Ge
noss enschaftsrecht, 1. S. 762; Rosin, in Hirtbs
Ann., S. 292 ff.; Hänel, i, S. 137; Seydel,
Bayrisches Staatsrecht, 11 (2. Aufl., Freiburg
1895), S. 19; E. Meier, in v. Holtzendorffs
Encyklop., 5. Aufl., S. 1161; v. Stengel,
Organisation, S. 17.