Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

336 Zweiter Abschnitt. 
(6. 94.) 
Fünfter Titel. 
G. 94. 
Die Staatsaufsicht über die Ortsgemeinden.!1 
Aus der Eigenschaft der Ortsgemeinden als Selbstverwaltungskörper, die dem 
Staate untergeordnet und dazu berufen sind, selbständig staatliche Aufgaben zu verrichten, 
ergiebt sich, wie oben erörtert?, die Notwendigkeit einer staatlichen Aufsicht über die Ge- 
meinden. Über den allgemeinen Charakter, das Wesen und die Ziele dieser Aufsicht ist 
gleichfalls bereits gesprochen, hier sind nur einige positive gesetzliche Vorschriften anzuführen: 
I. Die staatliche Aufsicht über die Städte wird ausgeübt durch den Regierungs- 
präsidenten 3, in höherer und letzter Instanz durch den Oberpräsidenten"; die über die 
Landgemeinden in erster Instanz durch den Landrat als Vorsitzenden des Kreisausschusses, 
in zweiter und letzter Instanz durch den Regierungspräsidenten. Diese Einzelbeamten sind 
aber bei ihren Anordnungen und Beschlüssen in weitem Umfange an die Mitwirkung 
des Kreisausschusses, Bezirksausschusses oder Provinzialrates gebunden. Beschwerden 
über Gemeindeangelegenheiten sind bei diesen Aufsichtsbehörden in beiden Instanzen 
innerhalb zweier Wochen anzubringen.5.“ Die in den meisten älteren Gemeinde- 
gesetzen zugelassene dritte Aufsichtsinstanz, der Minister des Innern bei den Städten, 
der Oberpräsident bei den Landgemeinden, ist durch das Zuständigkeitsgesetz beseitigt. 
Damit ist jedoch nur das Beschwerderecht des Einzelnen an diese Instanzen weggefallen, 
unberührt ist dagegen die allgemeine Aufsicht geblieben, welche letzteren gegenüber den 
ihnen nachgeordneten staatlichen Behörden zusteht. Insbesondere kann daher der Minister 
des Innern im Interesse der einheitlichen Handhabung der Staatsaufsicht den unter- 
geordneten Organen nicht nur allgemeine Direktiven über die Behandlung der Gemeinde- 
angelegenheiten in der Aufsichtsinstanz erteilen, sondern sie auch in Einzelfällen, welche 
an ihn gelangen, anweisen, ihre Verfügungen zurückzunehmen oder künftighin nach den 
von ihm vorgeschriebenen Grundsätzen zu verfahren.7 
II. Die Aufsichtsfunktionen der Staatsbehörden haben bald einen negativen, bald 
einen positiven Inhalt. 
  
: Leidig, S. 498; v. Möller, St., §s. 142; 
L., S. 124; Steffenhagen, S§s#s. 132—139; 
Schmitz, §. 21; Grotefend, 88§. 234, 253. 
Vgl. auch Blodig, Selbstverwaltung, S. 254 ff. 
: Vgl. oben S. 9. 
Der Regierungspräsident kann sich bei Aus- 
übung der Aufsicht der Landräte als ausführen- 
der Organe bedienen, ist aber nicht befugt, diesen 
die Aussicht ganz oder teilweise zur selbständigen 
Ausübung zu übertragen. M. Erl. v. 26. Jan. 
1860 (V. M. Bl., S. 17); O. V. G., XllI, 
S. 78. Nach Art. XVI der Instr. v. 20. Juni 
1853 haben im Geltungsbereiche der St. O. ö., 
auch wenn dem Landrat eine Mitwirkung bei der 
Aufsicht nicht besonders übertragen ist, die Ge- 
meindebehörden der Städte von nicht mehr als 
10,000 Einwohnern ihre dem Regierungspräsi- 
denten zu erstattenden Berichte durch Vermitte- 
lung des Landrats, der sie mit etwaigen Be- 
merkungen begleiten kann, an den Regierungs- 
präsidenten zu befördern. Hinsichtlich der Poli- 
zeiverwaltung sind alle Städte, die nicht eigene 
Kreise bilden, der Aufsicht des Landrats unter- 
worfen. §. 77 der Kr. O. ö. u. dazu v. Brau- 
chitsch, II (13. Aufl., Berlin 1896), S. 124, 
Anm. 292. 
* Für die Stadt Berlin tritt an die Stelle 
des Regierungspräsidenten der Oberpräsident und 
  
an die Stelle des Oberpräsidenten der Minister 
des Innern. Für die Hohenzollernschen 
Lande tritt an die Stelle des Oberpräfidenten 
der Minister des Innern. Zust. G., §. 7, Abs. 2. 
* St. O. ö., wiesb. u. w., S. 76; rb., §. 81; 
schlesw.--holst., §. 91; frkf., §. 79. G. O. kurh., 
§. 92. L. G. O. ö. u. schlesw.-bolst., §. 139; 
w., §. 80; rh., §. 114. Zum Teil ersetzt und 
abgeändert sind diese Bestimmungen durch das 
Zust. G., §§. 7 u. 24, welches hier für den 
ganzen Staat einbeitliches Recht geschaffen hat. 
* Aus der Natur des Aufsichtsrechts folgt, 
daß mit Ablauf dieser Zeit nur das Recht des 
Beschwerdeführers auf die Untersuchung erlischt, 
nicht aber das Recht der Aufsichtsbehörde, von 
sich aus Abhilfe zu schaffen. 
7 Ortel, St. O., S. 415, Anm. 6; Leidig, 
S. 500, Anm. 1; Freytag, Komm. z. L. G. O., 
S. 305, Anm. 4; L. V. G., §§. 3 u. 50, Abf. 3. 
und zu letzterem die Anm. bei v. Brauchitsch, I. 
6 Der Inhalt des Aufsichtsrechts und die sich 
aus diesem ergebenden Grenzen der Befugnisse 
der Aussichtsbehörden sind in den meisten Ge- 
meindegesetzen nicht angegeben. Am au führ- 
lichsten sind sie in §. 93 der G. O. kurh. erörtert. 
Die wichtigsten Aufgaben der Aufsichtsbehörde 
zählt auch §. 114 der L. G. O. rh. auf.
	        
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