Kreisgemeinden; das geltende Recht. (8. 118.) 409
Im übrigen ist die Thätigkeit der Kreisgemeinde auf das Gebiet der Verwaltung,
und zwar vorwiegend auf das der inneren Verwaltung beschränkt. Hier eröffnet sich
aber ein weites Feld für ihre Wirksamkeit. Zur Kompetenz der Kreisgemeinde gehören
nicht nur diejenigen Geschäfte, zu deren Verrichtung sie gesetzlich verpflichtet oder aus-
drücklich ermächtigt ist, sondern sie kann alle Angelegenheiten an sich ziehen und da-
durch zu Kreisangelegenheiten machen, welche ihrer Ansicht nach im Interesse des
Kreises durch sie besorgt und verwaltet werden. Die Kreisordnungen ermächtigen die
Kreistage ausdrücklich, nicht nur „zur Erfüllung einer Verpflichtung“, sondern auch „im
Interesse des Kreises“, Ausgaben zu beschließen „und zu diesem Behufe über das dem
Kreise gehörige Grund= und Kapitalvermögen zu verfügen, Anleihen aufzunehmen und
die Kreisangehörigen mit Kreisabgaben zu belasten“. Eine Schranke findet diese Befug-
nis zur freiwilligen Erweiterung des Wirkungkreises jedoch darin, daß die Kreisgemeinde
einerseits nicht Angelegenheiten an sich ziehen darf, die zur allgemeinen Landesverwal-
tung gehören und vom Staate selbst besorgt werden, und daß sie sich andererseits nicht
mit Angelegenheiten rein lokalen Charakters zu befassen hat, die den Einzelgemeinden
belassen sind. Zur Kreisangelegenheit können immer nur solche Geschäfte erhoben
werden, welche eine über das Interesse einer oder mehrerer einzelner Gemeinden hinaus-
reichende Bedeutung haben!; es ist aber nicht erforderlich, daß die Angelegenheit in
gleicher Weise dem ganzen Kreise oder allen Kreisangehörigen Nutzen bringt, es
genügt, wenn sie nur einen größeren oder kleineren Teil des Kreises interessiert.?
Nicht, um die Befugnis der Kreisgemeinden, ihren Wirkungskreis auszudehnen, von oben
her möglichst zu beschränken, sondern lediglich im Interesse der Kreisangehörigen ent-
halten sämtliche Kreisordnungen die Bestimmung, daß Kreistagsbeschlüsse, durch welche
der Kreis ohne gesetzliche Verpflichtung Angelegenheiten übernimmt, die eine neue Be-
lastung der Kreisangehörigen zur Folge haben würden, zu ihrer Gültigkeit der Geneh-
migung des Bezirksausschusses bedürfen, sofern die aufzubringenden Leistungen über die
nächsten fünf Jahre hinaus fortdauern sollen.
Die wichtigste Aufgabe der Kreisgemeinde ist die geordnete Verwaltung ihres Ver-
mögens, aus welchem sie die Mittel zur Erfüllung aller weiteren Verpflichtungen, der
gesetzlich auferlegten wie der freiwillig übernommenen, gewinnen soll. Dieses Finanz-
recht der Kreise wird in den folgenden §§. eingehender erörtert; hier soll nur in Kürze
einiger Aufgaben gedacht werden, welche der Kreisgemeinde auf dem Gebiete der inneren
Verwaltung, der Militär= und der staatlichen Finanzverwaltung überwiesen sind.
Eine besonders wichtige Stellung kommt den Kreisgemeinden auf dem Gebiete
des Wegebaues zuz; sie sind geeignet und berufen, alle nicht nur dem lokalen, sondern
dem allgemeinen Durchgangsverkehre dienenden Wege in Bau und Unterhaltung zu nehmen,
auch können sie nach Vereinbarung mit den Provinzialverbänden die Verwaltung und
Unterhaltung der Chausseen übernehmen." Die Provinzen sollen den Kreiswegebau durch
Beihilfen fördern, und die Kreise sollen wieder die Gemeinden mit Mitteln zum örtlichen
Wegebau unterstützen.F An der öffentlichen Armenpflege sind die Kreise in ver-
1 Das schließt aber nicht die Befugnis der
Kreise aus, leistungsunfähige Gemeinden zu
unterstützen. Dadurch, daß einer Gemeinde zur
Ausführung einer bestimmten Angelegenheit
vom Kreise Geld überwiesen wird, wird diese
Angelegenheit noch nicht zur Kreisangelegenheit.
: Vgl. die Mot. zu §§. 93, 94 des ersten Ent-
wurfs zur Kr. O. von 1872 u. v. Brauchitsch,
Materialien, I, S. 147; dagegen oben S. 366,
Anm. 2.
1 Kr. O. ö., §. 176, Z. 6; w. u. rh., §. 91,
Z. 6; hann., §. 103, 3Z. 6; heff.-nass., §. 104,
Z. 6; schlesw.-holst., §. 139, Z. 6; A. u. L. O.
bohenz., §. 80, Z. 6; für Posen Ges. v. 19. Mai
1889. Art. V. B, 5e. Betreffs des Erfordernisses
der zwei Drittel Majorität für diese Kreistags-
beschlüsse vgl. oben S. 395 unter VI, 1.
Ein Kreistagsbeschluß, durch welchen der
Kreis die dauernde Unterhaltung einer Chaussee
übernimmt, wird regelmäßig eine dauernde neue
Belastung der Kreisangehörigen ohne gesetzliche
Verpflichtung begründen und daher nach den in
vorangehender Anm. mitgeteilten Bestimmungen
der Genehmigung bedürfen.
5 Vgl. z. B. Dotationsges. v. 8. Juli 1875,
§. 4, Z. 1, u. §. 18; für Posen Regul. v.
27. Dez. 1875 (G. S. 1876, S. 23); für Han-
nover Ges. v. 7. März 1868 (G. S., S. 223),
8. 1, Z. 4, u. Kr. O. hann., §§. 2 u. 114 (hier
bildet jeder Kreiskommunalverband gleichzeitig
einen Wegeverband i. S. des §. 30 des hann.
Ges. über Gemeindewege und Landstraßen v.
28. Juli 1851 lhann. G. S., S. 141), und die
Wegebeiträge bilden hier eine besondere Art
Kreislasten. O. V. G., XV, S. 19); für
Schleswig-Holstein Ges. v. 26. Febr. 1879