fullscreen: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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weltschmerzliche Stimmung, die ihn im Gefolge 
von Schwindsuchtseinbildungen zu Berlin ergriff, 
verbitterte ihm längere Zeit das Leben und wich 
erst, nachdem er als Auskultator am Oberlandes- 
gericht Münster, noch mehr aber, seit er beim 
Landgericht Koblenz, der Heimat nahe, beruflich 
wirkte. Der Schluß des Jahrs 1832 brachte 
seine Ernennung zum Referendar. Im Alter von 
25 Jahren schreibt er in sein Tagebuch: „Har- 
monische Tätigkeit aller Kräfte nach allen Rich- 
tungen hin ist mein oberstes Prinzip."“ Eine mehr- 
monatige Reise nach Paris (1833) läßt ihn 
die dort am Werk befindlichen politischen Kräfte 
beobachten. („Paris war für mich eine zweite 
Universität.“) Von seinem politischen Scharfblick 
gibt eine Tagebuchnotiz Kunde: „Ein unerwartetes 
Ereignis . bielleicht auch ein Handstreich kann 
der Republik einmal das Ruder in die Hände 
liefern; aber es wird ihr bald entfallen oder ent- 
rissen werden; denn sie versteht es sicher nicht zu 
handhaben.“ Bemerkenswert ist auch seine dort 
geschöpfte Uberzeugung, daß unbedingte Preß- 
freiheit der Sache der Mäßigung im allgemeinen 
mehr nütze als schade. Zurückgekehrt, verfaßte er 
Anfang 1834 (noch als Referendar) eine Streit- 
schrift gegen den preußischen Minister v. Kamptz 
zur Verteidigung der rheinischen Rechtseinrich- 
tungen, welche durch die geplante Verpflanzung 
altpreußischen Rechts in die Rheinlande bedroht 
schienen. Diese Arbeit ist bezeichnend für den 
Charakter des jungen Juristen, da sie zeigt, wie 
er mit männlichem Freimut unter Zurückstellung 
aller persönlichen Interessen für das als recht Er- 
kannte eintrat, eine bis in das höchste Greisenalter, 
oft unter den schwierigsten Verhältnissen betätigte 
Eigenart. Die Rheinprovinz behielt ihre von der 
französischen Zeit überkommenen Rechtsformen 
(Mündlichkeit des Verfahrens, Schwurgerichte). 
Im Herbst 1835 wurde Reichensperger Assessor 
beim Landgericht Koblenz. 
II. Stand er zum Schmerz der tiefgläubigen 
Mutter in seinen Lehr= und Wanderjahren der 
Kirche fern, so änderte sich dies mit einem Schlag, 
als die erste preußische Kirchenverfolgung des 
19. Jahrh. anläßlich des Mischehenstreits einsetzte: 
Am 20. Nov. 1837 wurde Klemens August, Erz- 
bischof von Köln, auf Befehl des Königs Friedrich 
Wilhelm III. verhaftet und auf die Festung Min- 
den transportiert. „Es geschieht Gewalt, gelobt 
sei Jesus Christus“, diese Worte des gefesselten 
Kirchenfürsten wurden für Tausende lässig ge- 
wordener Katholiken das Losungswort zur Rück- 
kehr. Von München her ließ der geniale Görres 
im „Athanasius“ seine Donnerstimme ertönen. 
Für August Reichensperger war der erste Antrieb 
zum Anschluß an die katholische Sache sein aus- 
geprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Die Schriften 
des großen rheinischen Landsmanns begründeten 
ihm den Schritt wissenschaftlich. „Meine Sinnes- 
änderung ist das Werk von Görres, ihm verdanke 
ich alles.“ Bald gibt er im Bund mit seinem 
Reichensperger, August. 
  
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Bruder Peter und v. Thimus dem Franzosen 
Vicomte Gustave de Failly kirchenpolitisches Ma- 
terial, welches dieser (in preußenfeindlichem Sinn) 
zu der Ausfsehen erregenden, bald in Preußen ver- 
botenen Schrift: De la Prusse et de sa domi- 
nation sous les rapports politiques et reli- 
gieux spécialement dans les nouvelles pro- 
vinces, par un inconnu verarbeitete. Am 1. Nov. 
1839 begann ein halbjähriger Urlaub, welchen 
Reichensperger zu seiner ersten und einzigen italie- 
nischen Reise verwendete (Verkehr in Paris mit 
Guido Görres, in Rom mit Lacordaire, in Mün- 
chen mit Joseph v. Görres). Am 2. Okt. 1841 
erfolgte seine Ernennung zum Landgerichtsrat 
in Köln. Neben seiner Tüchtigkeit verdankte er 
dieses schnelle Vorrücken der Gunst des Ministerial- 
direktors Ruppenthal, welcher — selbst ein Freund 
des rheinisch-französischen Rechts — ihn als Ver- 
fasser der Streitschrift gegen v. Kamptz schätzte. Am 
3. Mai 1842 vermählte sich Reichensperger mit 
der 18jährigen Tochter Klementine des Notars 
Simon zu Koblenz. Sein erfolgreiches Wirken 
zugunsten des Weiterbaus am Kölner Dom, seine 
Bemühungen um Wiedererweckung christlicher 
Kunst, seine kunstschriftstellerischen Arbeiten ins- 
besondere im Dienst der Gotik füllen neben beruf- 
licher Tätigkeit (1844 Landgerichtsrat in Trier) 
die Jahrwoche bis zur Revolution aus und machen 
seinen Namen zu einem der geachtetsten im katho- 
lischen Deutschland (Herbst 1847 gemeinsam mit 
Bruder Peter Entwurf einer Petition an den 
König um eine Wahlreform). So wird er 1848 
vom Kreis Bernkastel zum Abgeordneten, vom 
Kreis Kochem und dem Landkreis Aachen zum 
Stellvertreter für die preußische Nationalversamm- 
lung gewählt und erhält von Euskirchen-Bergheim- 
Köln ein Mandat für die Frankfurter National- 
versammlung. 
Von Beginn der Frankfurter Tagung an war 
Reichenspergers „Grundansicht, daß alles aufge- 
boten werden müsse, um ohne Gewalt und Revo- 
lution, d. h. auf dem Weg der Mäßigung, des 
Rechts und der möglichsten Schonung bestehender 
Verhältnisse, die Freiheit und Einheit unseres 
Vaterlands zu begründen“. Er saß in der Mitte 
der Paulskirche — bei der sog. Kasinopartei. Er 
verwirft die Anerkennung der Revolution als 
solcher, da dies eine Permanenzerklärung der letz- 
teren selbst bedeute, stimmt für Erzherzog Johann 
als Reichsverweser, ist für den Doppeladler als 
Reichsflagge, befürwortet Freiheit der Kirche und 
ihrer Orden sowie die persönliche Freiheit (Grund- 
rechte), tritt gegen die unbeschränkte Gewerbefrei- 
heit, unbegrenzte Teilbarkeit des Eigentums und 
unbedingte Aufhebung der Reallasten ohne Ent- 
schädigung ein. Am 24. Okt. 1848 hält er seine 
machtvolle Rede für Osterreich. Die Gegnerschaft 
zum preußischen Erbkaisertum führt zu seinem Aus- 
tritt aus der großen gemäßigt-liberalen Mittel- 
partei und zur Gründung der Partei „Pariser 
Hof“, deren Führerschaft ihm neben Welcker, Jür-
	        
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