Full text: Die Reichsregierung.

dazu sehr verschiedener Meinung sein könne‘). Der Antrag 
Twesten - Münster wurde mit ııı gegen ıo0 Stimmen ange- 
nommen. 
In den Verhandlungen über die Verträge, die die Umwand- 
lung des Norddeutschen Bundes in das Deutsche Reich herbei- 
führten, wurde die Ministerfrage kaum ernsthaft gestreift ?). 
Sodann wurde ı877 und 1878 bei den Beratungen über das 
Stellvertretungsgesetz ?) die Einsetzung von Reichsministerien im 
Reichstag erörtert. 
Dann trat eine Pause ein, und im Jahre 1884 setzte eine 
verblüffende Aktion im Bundesrat gegen die Idee von Reichs- 
ministerien ein. 
Die deutsch-freisinnige Partei hatte in ihrem Programm *) „die 
Entwicklung eines wahrhaft konstitutionellen Verfassungslebens 
durch gesetzliche Organisation eines verantwortlichen Reichs- 
ministeriums“ gefordert. 
Gegen dieses Wahlprogramm einer politischen Partei wurde 
ı) Und im Anschluß an die Rede Laskers erklärte der Kanzler (Bezold, 
Bd, III, S. 1194), er habe aus dessen Rede wiederum ersehen können, daß man sehr 
häufig in seiner Meinung sich viel näher steht, als man vor der Diskussion geglaubt 
hat. „Wenigstens in dem einen Punkte ist mir die Tendenz des Antrags durch die 
Aeußerung des Vorredners viel näher gerückt.“ Der Abg. Lasker (a. a. O S. 1193) hatte 
betont, daß es nicht die Absicht sei, dem Kanzler gleichberechtigte Männer zur Seite 
zu stellen, welche jeden Augenblick in der Lage seien, ihm Schwierigkeiten zu bereiten. 
2) Interessant ist, daß in den Verhandlungen des am 24. November 1870 er- 
öffneten norddeutschen Reichstags über die Verträge mit den süddeutschen Staaten 
es der Abg. Windthorst war, der diesen Punkt berührte: „Ich vermisse ferner in der 
Bundesverfassung eine kollegialisch geordnete, klar durchsichtige, überall faßbare ver- 
antwortliche Regierung ... Das jetzige Großvezirat kann unmöglich fortdauern, es muß 
ein ordentliches Ministerium da sein, sonst sind wir unzweifelhaft nicht in der Lage, 
eine dauernde, feste konstitutionelle Verfassung zu gründen.“ Und auch der Abg. 
v. Mallinckrodt sprach sich bei der Beratung über den badisch-hessischen Vertrag gegen 
die Organisation des einen verantwortlichen Kanzlers aus (Bezold, Bd. I, S. 335). 
3) Vgl. S. 34 ff. 
4) Gründungsprogramm der Deutschen Freisinnigen Partei vom 5. März 1884 
(Einigungspunkte zwischen der Deutschen Fortschrittspartei und der liberalen Ver- 
einigung) bei Salomon, Die deutschen Parteiprogramme, Heft 2, Leipzig und Berlin 
1907, S. 16.
	        
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