Die Staatssekretäre halten dem Kaiser Vortrag in gleicher
Weise wie die preußischen Minister dem König.
Sind diese auch dem Ministerpräsidenten staatsrechtlich gleich-
geordnet, so hängt es doch ganz von der Persönlichkeit des
Ministerpräsidenten'ab, inwieweit er die volle Selbständigkeit ihrer
Ressortleitung zuläßt.
Es wird dem Ministerpräsidenten bei der besonderen Ver-
trauensstellung, die er beim Monarchen genießt, stets möglich sein,
die Entlassung eines Fachministers durchzusetzen !} — konnte doch
Fürst Bülow ı901 selbst die Entlassung eines so hochverdienten
und einflußreichen Finanzministers, wie es Miquel war, erreichen.
Und daß Fürst Bismarck in die laufende Verwaltung der
verschiedenen Fachminister Preußens in zahlreichen Fällen be-
stimmend eingegriffen hat, läßt sich aus der Fülle der Publikationen
aus dieser Periode nachweisen.
Da der Ministerpräsident doch der Volksvertretung und der
Geschichte gegenüber die Verantwortlichkeit für die Leitung der
Gesamtpolitik des preußischen Staates trägt, muß er bei allen
Fragen, die die Gesamtpolitik berühren, seine von der des Fach-
ministers abweichende Auffassung zur Geltung zu bringen suchen.
Es wird ihm das auch bei Fragen, die nicht im Schoße des
Staatsministeriums verhandelt werden, gelingen.
Freilich eine dem preußischen Staatsministerium entsprechende
Einrichtung eines Kollegiums der Staatssekretäre unter Vorsitz
des Reichskanzlers gibt es im Reiche nicht.
Aber nichts hindert den Reichskanzler, der häufig mit einzelnen
Staatssekretären über gemeinsame mehrere Ressorts berührende
Angelegenheiten Konferenzen abzuhalten genötigt ist, alle Staats-
sekretäre zu einem Meinungsaustausch über besonders wichtige
Fragen der Reichspolitik zu einer Beratung um sich zu ver-
sammeln.
ı) Fürst Bismarck erzählte Mittnacht (Erinnerungen, N. F. S. 32), daß im
preußischen Ministerium jeder auf seinen Antrag entlassen werde.
Rosenthal, Die Reichsregierung. 5