Fürst Bismarck hat, wenn er auch Reichsminister als die
Stellung des Bundesrats bedrohend bekämpfte, dies nicht zu allen
Zeiten mit gleicher Entschiedenheit getan. Mit voller Schärfe hat
er aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit dem Gedanken eines
Ministerkollegiums!) sich feindlich entgegengestellt ?).
Unermüdlich hat er auf seine reichen Erfahrungen, auf die
sich häufig wiederholenden Friktionen im preußischen Staats-
ministerium, auf die aufreibende Kraftvergeudung hingewiesen,
wie sie durch die Notwendigkeit, seine Ministerkollegen zu über-
zeugen und zu seiner Ansicht zu bekehren, bedingt war?)
Alle diese Aeußerungen machen, aus der Praxis des realen
ı) Im Reichstage 1869 sagte Lasker (Bezold, Bd. III, S. 1169): „.. durch die
Rede des Bundeskanzlers, welcher die Frage auf die einfachste Form zurückgeführt
hat: ob es denn unser Wunsch und unsere Absicht sei, seinen Willen zu durchkreuzen,
indem wir ihm gleichberechtigte Männer zur Seite stellen, welche jeden Augenblick in
der Lage sind, ihm Schwierigkeiten zu bereiten? Nein, meine Herren, das ist nicht
unser Wunsch und unsere Absicht; aber wir wollen ein Ministerial-Kollegium her-
stellen, welches in seinen einzelnen Organen selbständig die Ressorts verwaltet, welche
nicht dem Bundeskanzler vorbehalten sind.“
Hierauf entgegnete Graf Bismarck: „Wenn ich vorher gesagt habe, ich halte ein
Ministerium mit einheitlicher Spitze für zweckmäßiger in allen Staatseinrichtungen wie
ein Ministerium mit kollegialischer Spitze, wo man nicht weiß, wer überstimmt oder
gehemmt worden ist, so habe ich damit ja nicht weiter gehen wollen, als der Herr
Abgeordnete nach dem Beispiel der englischen Einrichtungen gehen will, aus welchem
ich schließen darf, daß wir im Grunde ganz einer Meinung über die einheitliche
Spitze sind.“
2) In den „Gedanken und Erinnerungen“, Bd. II, S. 272 spricht Fürst
Bismarck von „dem Unabhängigkeitsgefühl und Partikularismus, wovon jeder der acht
föderirten ministeriellen Staaten und jeder Rat in seiner Sphäre beseelt ist“.
3) „Wer einmal Minister gewesen ist, und an der Spitze eines Ministeriums
gestanden hat, und gezwungen gewesen ist, auf eigene Verantwortung Entschließungen
zu finden, schreckt zuletzt vor dieser Verantwortung nicht mehr zurück, aber er schreckt
zurück vor der Notwendigkeit, sieben Leute zu überzeugen, daß dasjenige, was er will,
wirklich das Richtige ist. Das ist eine ganz andere Arbeit als einen Staat zu regieren.
Alle Mitglieder eines Ministeriums haben ihre ehrliche feste Ueberzeugung, und je
ehrlicher und tüchtiger sie in ibrer Tätigkeit sind, um so schwerer werden sie sich
fügen... Einen Menschen zu überzeugen ist an und für sich sehr schwierig, man
überredet manchen, man gewinnt ihn vielleicht durch den äußersten Aufwand der-
jenigen persönlichen Liebenswürdigkeit, die man etwa besitzen mag, und man hat diese
Anstrengung siebenmal oder öfter zu wiederholen“ (Graf Bismarck 1869, Bezold,
Bd. II, S. 1170).