Zentralisation organisierten deutschen Reichsregierung ist faktisch
die Stellung des englischen Premierministers (abgesehen von der
durch den Parlamentarismus bedingten Stellung als Leiter der
Mehrheitspartei des Unterhauses) in allen wesentlichen Stücken
dieselbe wie die des deutschen Reichskanzlers. Jeder ist der Chef
der Regierung und entscheidet in allen wichtigen Angelegenheiten
der inneren und auswärtigen Politik. In der Regel mischt sich
der Chef der Regierung nicht in die Verwaltung der einzelnen
Ressorts, weder der englische Premier in die der Kabinettsmit-
glieder noch der Reichskanzler in die der Staatssekretäre. Selbst-
verständlich muß er sich aber um wichtige Angelegenheiten der
einzelnen Departements, namentlich soweit sie auf die allgemeine
Politik von Einfluß sind, kümmern!). Wenn sie in einer wichtigen
Frage sich der Auffassung des Chefs nicht fügen wollen, kommt
es zum freiwilligen oder unfreiwilligen Rücktritt.
Aus diesen Darlegungen ergibt sich die Richtigkeit der oben
(S. 73) vertretenen Auffassung, daß unsere Reichsministerialver-
fassung praktisch von der Einrichtung des englischen Kabinetts
mit seinem Premier nicht wesentlich abweicht.
IL
Der Präsident und das Kabinett in den Vereinigten
Staaten von Amerika.
Die Unionsverfassung, die erste Verfassungsurkunde der
Staatengeschichte, die den Bundesstaat im Gegensatze zum Staaten-
bunde begründet hat, wird beherrscht von dem Satze, daß die
Union das Recht habe, sich alle diejenigen Organe als eigene zu
ı) So sagte R. Peel nach seinem Rücktritt (1846) von der ungeheuren Arbeits-
überhäufung des Premiers erzählend: „Then I must, of course, have mey mind in the
prineipal subjects connected with the various departments, such as the Oregon question
for example, and all the reading connected with them (Morley, The life of William
Ewart Gladstone, London 1903, Vol. I, p. 298).