214 C. Handelssachen und Gewerbliches Eigentum.
1. Eingabe der Handelskammer Berlin an den Handelsminister von
12. Juli 1916. Die Verordnung über den Handel mit Lebens- und Futtermitteln und
zur Bekämpfung des Kettenhandels hat als eine durch den Krieg gebotene und für den
Krieg geschaffene Maßnahme volles Verständnis auch in denjenigen Kreisen des Handels
gefunden, die durch sie einer Erlaubnispflicht unterworfen werden. Hingegen wird in
allen beleiligten Kreisen der durchaus gerechtfertigte dringende Wunsch gehegt, daß einige
durch die Fassung der Verordnung entstandene Zweifel rechtzeitig beseitigt werden, damit
nicht über den Zweck der Verordnung hinaus die geschäftliche Tätigkeit des rechtmäßigen
Handels bedroht wird.
Es handelt sich dabei namenllich um zweicrlei:
a) Die Verordnung führt in § 1 eine Erlaubnispflicht für den Handel mit Lebens.
und Futtermitleln ein.
Die Begriffe „Lebens- und Futtermittel“ sind unllar.
In der Friedensgesetzgebung ist, soweit uns bekannt, der Begeiff „Lebensmittel-
nur vereinzelt vorgekommen. Das Strafsgesetzbuch spricht in § 370 Ziff. 5 (Mundraub)
von „Nahrungs= oder Genußmitteln“. Derselben Ausdrucksweise bedient sich das Gesepz,
betr. den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen,
v. 14. Mai 1879. In der Rechtswissenschaft und in der Rechtsprechung herrscht die Auf.
fassung, daß unler „Nahrungsmittel“ alle Gegenstände fallen, welche zur Ernährung des
menschlichen Körpers dienen, „Genußmittel“ hingegen diejenigen sind, welche zwar dem
Körper zugeführt und genossen werden, aber nicht zur Ernährung bestimmt sind. Der
Begriff „Lebensmittel“ findet sich im Strafgesetzbuch in § 329 (Vertragsbruch hinsichtlich
Lieferungsverträgen mit Behörden über Lebensmittel zur Abwendung oder Beseitigung
eines Nolstandes). Die überwiegende Ansicht geht dahin, daß hier unter „Lebensmitteln-
nur „Nahrungsmittel“ zu verstehen sind.
Wir halten es für möglich, daß in der Verordnung v. 24. Juni 1916 der VBegrif
„Lebensmittel“ weiter zu verstehen ist als der oben gekennzeichnete Begriff „Nahrungs.
mittel“. Andererseits erscheint es aber ausgeschlossen, daß er etwa alle Nahrungs- und
Genußmittel umfaßt. Denn zu den Genußmitteln gehören viele — wie Zigarren und
Tabake —, auf die sich die Verordnung ihrem Zwecke nach offenbar nicht bezieht. Es würde
auch weder im allgemeinen Interesse liegen, noch aus dem Gesichtspunkte der Inanspruch-
nahme der Behörden angezeigt sein, wollte man alle Genußmittel in den Wirkungs-
bereich der Verordnung hineinziehen. Eine solche Hineinziehung ist indessen durchaus
denkbar, wenn die Entscheidung der Rechtsprechung überlassen wird, ohne ihr irgendeinen
Anhalt zu gewähren.
Wie aber auch die Verordnung gemeint sein möge, in jedem Falle müssen die Handels-
kreise wissen, woran sie sind. Sie haben weniger Interesse daran, wie der Begriff aus-
gelegt wird, als vielmehr daran, daß überhaupt eine Klarstellung erfolgt, die tunlichst
allen im guten Glauben begangenen Zuwiderhandlungen vorbeugt. Denn der gute Glaube
würde, als Rechtsirrtum, sie nicht vor Strafverfolgung und Verurteilung bewahren.
Selbst die Verurteilung zu einer niedrigen Geldstlrafe und sogar die Freisprechung von einer
Anllage ist für den Kaufmann, zumal in jetziger Zeit, eine schwere Schädigung.
Nicht minder unklar ist der Begriff „Futtermittel“. In der Kriegszeit werden viele
Erzeugnisse, die früher niemals zur Verfütterung benutzt wurden, als Futtermittel ver-
wendet, und fast täglich kommen neue hinzu, so daß der Händler oft nicht zu wissen braucht,
ob die ihm verkaufte Ware ein Futtermittel ist.
In noch höherem Maße gill dasselbe von den in § 2 der Verordnung genannten
„Erzeugnissen, aus denen Lebens- oder Futtermittel hergestellt werden“.
Bei dem Erfindungsfleiß unserer Ersatzindustrie lassen sich hierunter Stofse begreifen,
an bie der Gesetzgeber sicherlich nicht gedacht hat.
Wir verkennen nicht die großen Schwierigkeiten, die einer Feststellung der erwähnten
Begriffe enigegenstehen. In Würdigkeiten dieser Schwierigkeiten dürfte auch in den von