Full text: Kriegsbuch. Fünfter Band. (5)

772 K. Entlastung der Gerichte, Anderung der Kostengesetze usw. 
aussprechen, in der wir einen verhängnisvollen Schritt auf dem Wege zur Einschränkun 
des Wirkungskreises der Rechtsanwaltschaft und damit zur Verschlechterung der Rechts- 
pflege erblicken. Mit dem Bedürfnis einer Entlastung der Gerichte lann diese Neuerung 
nicht gerechtfertigt werden. Den wenigen Fällen, in denen die Verringerung der erstallungs. 
fähigen Kosten den Abschluß eines Vergleichs und damit die raschere Erledigung des Rechts. 
streits befördern mag, stehen die zahllosen anderen Fälle gegenüber, in denen die Ver. 
handlung mit der ihre Sache selbst führenden Partei zu einer wesentlichen Erschwerung 
und Verzögerung des Verfahrens führt, ganz zu schweigen von den Prozessen, in denen 
gerade die an der Verhandlung beteiligten Anwälte mit besserem Erfolg, als es ohne 
sie geschehen würde, auf eine Beilegung des Streites im Wege des Vergleichs hinwirken. 
Dagegen hat die neue Bestimmung zur Folge, daß das Rechtsschutzinteresse der Parleien 
bei den unter die Vorschrift fallenden Angelegenheiten nicht mehr in vollem Umfange 
gewahrt ist. Sind die Parleien nicht mehr sicher, daß ihnen im Falle ihres Obsiegens die 
durch Zuziehung eines Anwalts entstehenden Kosten erstattet werden, so werden sie auch in 
schwierigeren Streitsachen geneigt sein, sich zu ihrem Schaden und oft unter unverhältnis. 
mäßig großem Zeitaufwand selbst zu vertreten oder ihre Interessen noch häufiger als es 
bisher schon der Fall war, dem Winkelkonsulententum anzuvertrauen. Diesen Gefahren 
gegentber versag! auch hier der Hinweis auf den geringeren Wert der von der Vorschrift 
betroffenen Streitgegenstände; denn die Schwierigkeit der Prozeßführung und die Zweck. 
mäßigkeit rechtskundiger Vertretung der Parteien ist nicht vom Streitwert abhängig. 
Zu den Schäden, die sich danach aus der neuen Vorschrift für die Rechtspflege un- 
mittelbar ergeben, treten schwere Nachteile, die sie für die Rechtsanwaltschaft — und 
dadurch mittelbar wiederum für die Rechtspflege — zur Folge hat. Die deutsche Anwalt- 
schaft würde ihr Ansehen und die ihr zukommende Stellung nicht behaupten können, wenn 
die zuständigen Stellen von Fall zu Fall darüber zu befinden haben sollen, ob die Zu- 
ziehung eines Anwalts zur zweckenisprechenden Wahrnehmung der Parteirechte notwendig 
war oder nicht. Daß es die Würde des Anwaltstandes in besonderem Maße verletzt, wenn 
diese Entscheidung zunächst nicht einmal dem Richler, sondern dem Gerichtsschreiber und 
in Zwangsvollstreckungssachen dem Gereichtsvollzieher obliegt, wird keiner näheren Dar- 
legung bedürfen. Die Vorschrift bedeutetl aber für einen großen Teil der deutschen An- 
waltschaft zugleich eine ernste Bedrohung seiner wirtschaftlichen Existenz. Für jeden An- 
walt, der Amtsgerichtssachen in größerer Zahl zu führen hal, muß die Neuerung zu einem 
beträchtlichen Gebührenaussall führen; und für die nur an kleinen Amtsgerichten zuge- 
lassenen Rechlsanwälte würde dieser Ausfall nicht mehr erträglich sein. Liegt es aber im 
Interesse der Rechtspflege, daß auch am Sictze solcher Gerichte Rechtsanwälte bestehen 
lönnen, so darf die Gesetzgebung nicht dazu mitwirken, die Grundlagen ihrer Existenz zu 
vernichten oder zu gefährden. Schon vor dem Kriege war die wirtschaftliche Lage eines 
großen Teiles der deutschen Anwaltschaft, zumal bei den lleineren Gerichten, überaus 
ungünstig. Der gesunkene Geldwert, die Verleuerung der Lebenshaltung, die Erhöhung 
der Aufwendungen für Miele, Gehälter und sächliche Unkosten auf der einen Seite und 
andererseits die grundsätzliche Aufrechlerhaltung von Gebührensäßen, die vor nahezu vierzig 
Jahren unter ganz anderen Verhältnissen für angemessen erachlet worden sind, haben dos 
durchschnittliche Reineinkommen der deutschen Anwälte so herabgedrückt, daß der weileren 
Entwicklung schon damals mit schwerer Sorge entgegengesehen und eine den Zeitwerhäll- 
nissen entsprechende Erhöhung der Gebührensätze als eine unabweisbare Nolwendigkeit 
erkannt wurde. Diese Schwierigkeiten der Lage hat der Krieg naturgemäß noch wesentlich 
gesteigert. Wie jehr die deutsche Anwaltschast, auch abgesehen von den Opfern an Gut 
und Blut, die sie wie alle anderen Berufsstände dem Vaterlande unverdrossen darbringt, 
unter den Einwirkungen des Krieges zu leiden hat, wird der Justizverwaltung nicht un- 
bekannt geblieben sein; und die deutschen Kammervorstände müssen leider auf Grund ihrer 
genauen Kenntnis der Verhältnisse bezeugen, daß sich eine große Zahl von Berufsgenossen 
trotz aller Hilfstätigkeit, die die Anwaltschaft selbst nach ihren Kräften übt, in ernstester 
Notlage befindel. Dabei verschlimmert sich die Lage von Tag zu Tag. Die wirtschaf#lichen
	        
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