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Die politische Spannung war schon seit Jahren aufs Außerste
gestiegen, und mehr als einmal schien der Weltkrieg ausbrechen zu
wollen. Jeder vorsichtige Geschäftsmann hätte mit dieser Möglich-
keit rechnen müssen. Aber abwenden hätte auch er den Krieg
nicht können, selbst bei Anwendung des höchsten Grades von Auf-
merksamkeit und Vorsicht, weil er hierauf gar keinen Einfluß aus-
zuüben vermochte. Demnach wäre also der Krieg als höhere
Gewalt anzusehen? Und doch ist dem nicht so, wenn wir das
Vertragsrecht ins Auge fassen. Denn nicht der Krieg an sich,
sondern erst seine Folgen haben, wie schon erwähnt, Handel und
Verkehr ins Stocken gebracht. Sollen diese Folgen als höhere
Gewalt gelten? Das muß verneint werden. Jeder Geschäftsherr
konnte sich sagen, daß der Krieg für die nächste Zeit unvermeidlich
sei, infolgedessen beim Kriegsausbruch die Bahnen zeitweilig ge-
sperrt würden, Rohstoffe schwer zu bekommen sein und vielleicht
er oder seine Angestellten eingezogen werden würden. Die Wir-
kungen des Krieges auf das Geschäftsleben waren also voraus-
sehbar. Sie konnten aber auch abgewandt werden: Der Geschäfts-
herr hatte die Möglichkeit, sich durch Aufnahme von Kriegsklauseln
in die Verträge zu schützen, sich für den Kriegsfall von jeder Ver-
bindlichkeit freizuhalten. Tat er dies nicht — und sonderbarer-
weise ist es sehr oft unterlassen wordens?) —, so trifft ihn die
Schuld, und er hat die Folgen zu tragen. Mit dem Begriff
der höheren Gewalt wird man also insoweit nichts erreichen
können 70).
Aber nicht alle Folgeerscheinungen des Krieges waren vor-
auszusehen. Wer hätte ahnen sollen, daß das Krämervolk auf
den britischen Inseln alle Gegenstände für Konterbande erklären
würde, die gerade ihm dazu geeignet schienen? Wer hätte sich
sagen können, daß durch die Einwirkung englischer Lügenberichte
auch die neutralen Staaten zeitweise den Handelsverkehr mit uns
ruhen ließen und so manche Rohstoffe unserer Industrie zu fehlen
begannen? Wenn nun aus diesen Gründen Leistungen nicht
bewirkt, Verträge nicht erfüllt werden konnten, ist das höhere
Gewalt? Auch hier muß die Antwort verneinend ausfallen.
80) Vgl. Recken, Die Kriecpsklausel in Reklameverträgen. L8. 1914 Nr. 24.
90) Ebenso Düringer, L8. 1914 S. 1614.