4. Von den Staatsbürgern. 135
Vermögen jeglicher Art, auch Grundeigentum, zu erwerben
und zu besitzen, so ist auch jeder Eingriff in das Eigentum
ebenso wie dessen Beschränkung untersagt.
Dieser Grundsatz erleidet aber eine wichtige Ausnahme
durch die Zwangsenteignungen oder Expropriationen.
Es kann nämlich der Eigentümer aus Gründen des öffent-
lichen Wohles und gegen Entschädigung zur Abtretung seines
Eigentums gezwungen werden. Im allgemeinen werden
Grundstücke den Gegenstand der Zwangsabtretung bilden;
doch können — wie wir jetzt im Kriege gesehen haben —
auch alle anderen Gegenstände enteignet werden, so z. B.
Getreide bei einer Hungersnot, Pferde bei einer Mobil-
machung. Die bekannteste Anwendung erfährt die Enteignung
beim Bau von Eisenbahnen, indem das Recht gewährt wird,
den zur Anlage der Bahn erforderlichen Grund und Boden von
den Grundbesitzern, deren Grundstücke die Bahn durchschneidet,
mangels einer gütlichen Einigung im Zwangswege zu erstehen.
(Siehe das Enteignungsgesetz vom 11. Juni 1874, GS. S. 221,
und das Eisenbahngesetz vom 3. November 1838,. GS. S. 505.)
Andrerseits kann auch der Eigentümer über sein Eigentum
nicht unbeschränkt verfügen; weder das öffentliche allgemeine
Wohl noch das Rechtsgebiet eines anderen Eigentümers dürfen
dadurch verletzt werden. Darum sind z. B. Anordnungen der
Polizei, welche innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse aus
Gründen der öffentlichen Sicherheit insbesondere zum Schutz
gegen Gefahren für Gesundheit oder Leben getroffen werden,
nicht als „Beschränkungen des Eigentums“ im Sinne des
Artikels 9 und nicht als Eingriffe in das Eigentum und die
Privatrechte des Staatsbürgers anzusehen.
6. Die Freiheit der Auswanderung (Art. 11). Die
Bestimmung hat für das ganze Deutsche Reich Gültigkeit und
unterliegt nur den durch die allgemeine Wehrpflicht gebotenen
Beschränkungen (s. S. 25).