Full text: Die Verfassung und Verwaltung des Deutschen Reiches und des Preußischen Staates in gedrängter Darstellung.

136 VI. Die Preußische Verfassung. 
7. Die Freiheit des religiösen Bekenn tnisses 
(Art. 12). Getreu dem Worte Friedrichs des Großen: „In- 
meinem Staate kann jeder nach seiner Facon selig werden“, 
hat jeder Staatsbürger verfassungsmäßig das Recht, sich öffentlich 
zu irgend einer Religion zu bekennen und ihren Kultus 
auszuüben, ohne daß ihm ein staatsbürgerlicher Nachteil dar- 
aus erwächst. Ist daher jemand mit dem Glaubensbekenntnisse 
seiner Kirche nicht in ÜUbereinstimmung, so steht es ihm frei, 
durch eine einfache gerichtliche Erklärung auszutreten oder zu 
einer anderen Religionsgesellschaft überzugehen, ohne daß dazu 
die Genehmigung des Staates erforderlich wäre. Freilich 
wer behauptet, daß seine religiöse Überzeugung ihm die Er- 
füllung allgemeiner Pflichten verbiete, der mußte sich früher 
Nachteile gefallen lassen; so durften z. B. Mennoniten, welche 
die Ablegung des Eides verweigern. solange sie von der allge- 
meinen Wehrpflicht befreit waren, kein Grundeigentum erwerben. 
Die Angelegenheiten der Religion sind somit Sache der 
Einzelnen und der Kirche. Diese Selbständigkeit der Kirche 
bezieht sich jedoch nur auf die inneren Angelegenheiten, ins- 
besondere die Glaubenslehre (das Dogma); in ihren äußeren 
(Verwaltungs-) Angelegenheiten bleibt die Kirche wie jede 
andere Körperschaft der Oberaussicht des Staates unterstellt. 
Dieser Grundsatz war in den Artikeln 15, 17 und 18 
der Verfassung nicht zum klaren Ausdruck gebracht; sie 
wurden daher im Jahre 1873, namentlich weil die katholische 
Kirche durch ihre Übergriffe allmählich jede Staatsaufsicht und 
jede Unterordnung unter die Staatsgesetze in Frage gestellt hatte, 
in diesem Sinne ergänzt und demnächst ganz aufgehoben. 
In der Folge erließ der Preußische Staat die sog. 
Maigesetze, um das Verhältnis des Staates zu den religiösen 
Gesellschaften und die Grenzen der Staats= und der Kirchen- 
gewalt festzulegen. Um den Anordnungen des Staates den 
gehörigen Nachdruck zu verleihen, wurde zugleich durch Gesetz
	        
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