22 II. Verfassung des Deutschen Reiches.
anderen als Ausländer. Die Folge davon war, daß die dauernde
Niederlassung in einem anderen als dem Heimatstaate von
seiten der Regierungen und der Gemeinden nur unter mancherlei
lästigen Bedingungen gestattet wurde.
Diese Schranken sind durch die im Artikel 3 geschaffene
gemeinsame Staatsangehörigkeit (das Bundesindigenat)
beseitigt worden. (Indigenat bedeutet das „Recht der Ein-
geborenen“, „Bürgerrecht“.) Hiernach ist jeder Staatsbürger
eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate als
Inländer zu behandeln.
Dadurch hat jeder Deutsche das Recht erlangt, sich inner-
halb des Reichsgebietes aufzuhalten oder niederzulassen, wo er
sich eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen zu verschaffen
imstande ist, an jedem Orte Grundeigentum zu erwerben
und umherziehend oder an dem Orte des Aufenthaltes Gewerbe
aller Art wie die Einheimischen zu treiben. Jeder Deutsche
ist ferner in jedem deutschen Staate zu öffentlichen Amtern,
zur Erlangung des Staatsbürgerrechtes und zum Genusse aller
sonstigen bürgerlichen Rechte zugelassen.
Erst durch diese Bestimmungen sind die Deutschen wirklich
zu Bürgern eines gemeinsamen Staates und zu Söhnen eines
gemeinsamen Vaterlandes geworden.
Dieses Recht des freien Wegzuges und der freien Nieder-
lassung wird Freizügig keit genannt.
Das Gesetz vom 1. November 1867 (BGBl. S. 55)
über die Freizügigkeit stellt die hierfür geltenden Grund-
sätze näher fest. Hiernach ist eine Gemeinde zur Abweisung
eines neu Anziehenden nur befugt, wenn sie nachweisen kann,
daß derselbe nicht hinreichende Kräfte besitzt, um sich und seinen
Angehörigen den notdürftigsten Lebensunterhalt zu verschaffen.
Um des Glaubensbekenntnisses willen darf daher keinem Reichs-
angehörigen die Niederlassung verweigert werden. Ebensowenig
berechtigt die Besorgnis vor künftiger Verarmung zur Zurück-