2. Reichsgesetzgebung. 23
weisung des neu Anziehenden. Ein Vermögensnachweis und ein
Leumundszeugnis sind nicht vorzulegen, und die Erhebung der
sogen. Anzugsabgabe, welche früher in der Regel erhoben wurde,
ist untersagt. Dagegen kann die Fortsetzung des Aufenthaltes
innerhalb Jahresfrist versagt werden, wenn sich nachträglich
die Notwendigkeit einer öffentlichen Unterstützung ergibt, welche
nicht in einer nur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit ihren
Grund hat.
Durch einjährigen Aufenthalt wird jeder neu Angezogene
in seinem neuen Wohnsitz heimatsberechtigt, oder, wie das
Bundesgesetz vom 6. Juni 1870 über den Unterstützungs-
wohnsitz (jetzige Fassung RGBl. 1908 S. 381) es ausdrückt,
es ist für den neu Angezogenen der Unterstützungswohnsitz
begründet. Tritt nunmehr Verarmung ein, so ist er in der
Gemeinde seines Wohnorts zum Empfange öffentlicher Armen-
unterstützung berechtigt. Diese Unterstützungen werden durch
die Ortsarmenverbände gewährt. Während große Städte
für sich allein einen Ortsarmenverband bilden, können sich auch
mehrere Städte und Gemeinden zur Bildung eines Gesamt-
armenverbandes zusammentun. Die Unterstützung von Hilfs-
bedürftigen, welche endgültig zu tragen kein Ortsarmenverband
verpflichtet ist (der Landarmen), liegt den Landarmenver-
bänden ob, die auch Beihilfen an die Ortsarmenverbände
gewähren dürfen. Streitigkeiten zwischen verschiedenen Armen-
verbänden über die öffentliche Unterstützung Hilfsbedürftiger ent-
scheidet für das Gebiet des ganzen Reiches in letzter Instanz
das Bundesamt für das Heimatwesen zu Berlin. Eine
zu weitgehende Freizügigkeit kann übrigens auch leicht Miß-
stände im Gefolge haben. Insbesondere wird dem Zuzuge vom
Lande nach den Städten dadurch wesentlich Vorschub geleistet
und namentlich in die großen Städte ein besitzloser Arbeiterstand
(Proletariat) gezogen, der zu Ausschreitungen aller Art nur
zu sehr geneigt ist.