56 II. Verfassung des Deutschen Reiches.
welchem er seinen Wohnsitz hat, Wähler für den Reichstag ist.
Ausgenommen sind nur diejenigen Personen,
1. über deren Vermögen Konkurs eröffnet ist,
2. welche unter Vormundschaft oder Pflegschaft stehen,
3. welche eine Armenunterstützung beziehen oder im letzten
der Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben,
4. denen durch rechtskräftiges Erkenntnis der Vollgenuß
der staatsbürgerlichen Rechte entzogen ist (§ 3).
Diese Ausnahmen waren sämtlich bereits im Frankfurter
Wahlgesetze aufgestellt. Abweichend von letzterem schließt das
deutsche Wahlgesetz ferner
5. Personen des Soldatenstandes (des Heeres und der
Marine), ausschließlich der Militärbeamten, so lange
vom aktiven Wahlrecht aus, als sie sich bei den
Fahnen befinden. «
Hiernach waren bei der letzten Wahl zum Reichstage
1912 14,23 Millionen wahlberechtigt = rund 43,6% aller männ-
lichen Deutschen. Das Wahlrecht ausgeübt haben 12,1 Mill.
Wähler —= 85,6 Proz. der Wahlberechtigten. Eine Wahlpflicht
wie in einzelnen Staaten (z. B. Belgien) besteht nicht.
Wählbar zum Mitgliede des Reichstages ist jeder Deutsche,
welcher die Berechtigung zum Wählen besitzt (also das 25.Lebens-
jahr zurückgelegt hat) und einem zum Reiche gehörigen Staate
seit mindestens einem Jahre angehört. Offentliche Wahlver-
sammlungen bedürfen während der Wahlzeit keiner Anmeldung.
Die Wahl erfolgt durch absolute Stimmenmehrheit;
der Wahlkandidat muß also mehr als die Hälfte aller im
Wahlkreise abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen. Ergibt
die Wahl keine überhälftige Stimmenmehrheit, so ist unter den-
jenigen beiden Gewählten anderweitig zu wählen, welche die
relative Mehrheit erhalten haben, welche also im ersten
Wahlgange die meisten Stimmen auf sich vereinigt haben, ohne
gerade mehr als die Hälfte sämtlicher abgegebenen Stimmen