3. Die Zentralorgane der Reichsgewalt. (Reichstag.) 57
erhalten zu haben. Es ist dies die engere Wahl, auch
Stichwahl genannt. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los.
über das abweichende Verfahren hinsichtlich der Nach-
wahlen in Elsaß-Lothringen s. S. 109.
Die Wahl selbst erfolgt geheim. Das Verfahren ist durch
Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 28. April 1903
(RGBl. S. 202) neu geregelt. Der Wähler erhält in dem
Wahlraume einen amtlich gestempelten Umschlag, in welchen
er seinen Wahlzettel zu legen hat; damit dies unbeachtet er-
folgen kann, sind Nebenräume oder Nebentische („Wahlzellen")
bereit zu halten. Er übergibt sodann unter Namensnennung
dem Wahlvorsteher den Umschlag, den dieser sofort uneröffnet
in die auf dem Wahltische stehende Wahlurne legt. Die Wahl-
handlung und die Ermittelung des Wahlergebnisses ist öffent-
lich. Die Wahl kann nur in Person ausgeübt werden; eine
Stellvertretung ist unzulässig. Um eine Beeinflussung der
späteren Wahl durch das Ergebnis der früheren zu vermeiden,
erfolgen die gesamten Wahlen zum Reichstage wie auch zum
preußischen Abgeordnetenhause am gleichen Tage; für die Stich-
wahlen besteht diese Vorschrift nicht.
Der Wahlakt beginnt um 10 Uhr vormittags und wird
um 7 Uhr nachmittags geschlossen; im Wahllokal sind während
der Wahlhandlung Ansprachen und politische Erörterungen
verboten. Über die Wahl wird ein Schriftsatz aufgenommen,
welchem diejenigen Zettel beizufügen sind, über deren Gültig-
teit oder Ungültigkeit es einer Beschlußfassung des Wahlvor-
standes bedurft hat. Die endgültige Wahlprüfung erfolgt durch
die Volksvertretung selbst (also durch den Reichstag und in
Preußen durch das Abgeordnetenhaus). ·
Über den inneren Wert des allgemeinen Stimm-
rechts gehen die Ansichten weit auseinander. Das allgemeine
Wahlrecht, d. h. der Grundsatz der rechnerischen Gleichwertigkeit
aller Stimmen, führt allerdings leicht dazu, daß der rohen und