Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiter Jahrgang. 1861. (2)

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Außerdeulsche Länder — Frankreich. 
regieren, und die, welche in den Kammern sitzen, und verändert, trotz ibrer 
Wichtigkeit, in Nichts den Gelst der Verfassung. Ehemals, wie Sie wissen, 
war das Stimmrecht beschränkt. Die Deputirtenkammer hatte freilich aus- 
gedehntere Rechte, allein die große Zahl der Staatsbeamten, die ihr ange- 
hörte, verlieh der Regierung eine directe Action auf die Beschlüsse. Die 
Pairskammer votirte auch die Gesetze, aber die Majorität konnte jeden 
Augenblick durch die facultative Hinzufügung neuer Mitglicder verschoben 
werden. Endlich wurden die Gesetze nicht immer nach ihrem wirklichen 
Werthe discutirt, sondern nach der Aussicht, welche ihre Annahme oder ihre 
Verwerfung für den Fortbestand oder den Sturz eines Ministeriums dar- 
bieten konnte. Daher wenig. Aufrichtigkeit in den Verhandlungen, wenig 
Beständigkeit in dem Gange der Regierung und wenig zum Vollzug ge- 
brachte nützliche Arbeit. Heute werden alle Gesetze mit Sorgfalt und reif- 
licher Ueberlegung von einem aus aufgeklärten Männern zusmmengesetzten 
Rathe vorbereitet, die ihre Ansicht über alle zu ergreifenden Maßregeln ab- 
geben. Der Senat, Wächter des Grundvertrags, dessen conservative Mackkl 
nur bei ernsten Veranlassungen die Initiative ergreift, prüft die Gesetze nur 
unter dem alleinigen Gesichtspunkte ihrer Verfassungsmäßigkeit; aber, ols 
wahrhafter politischer Cassationshof, wird er von einer Anzahl Mitglieder 
gebildet, die nicht überschritten werden darf. Der gesetzgebende Körper mischt 
2 allerdings nicht in alle Einzelnheiten der Verwaltung, aber er wird 
direkt durch allgemeine Abstimmung gewählt und zählt keinen Staatspeamten 
in seiner Mitte. Er discutirt die Gesetze mit vollständigster Freihcit; wer- 
den sie zurückgewiesen, so ist dies eine Mahnung (averlissement), der die 
Regierung Rechnung trägt; aber diese Zurückweisung erschütlert die Regie- 
rung nicht, sie hält den Gang der Angelegenheiten nicht auf und nöthizt 
den Herrscher nicht, zu seinen Rathgebern Männer zu nehmen, die sein 
Vertrauen nicht besitzen. Dies sind die hauptsächlichsten Unterschiede zwi- 
schen der gegenwärtigen Verfassung und der, welche der Februarrevolulien 
voranging. Erschöpfen Sie, meine Herren, während der Abstimmung über 
die Adresse alle Discussionen, je nach dem Maße ihrer Wichligkeit, damit 
Sie sich nachher vollständig den Angekegenheiten des Landes widmen ken- 
nen;z denn, wenn diese eine gründliche und gewissenhafte Prüfung erbeischen. 
so verlangen ihrerseits die Interessen mit Ungeduld nach einer schleunigen 
Lösung. .. . Nach Außen habe ich mich bemuht, in meinen Verbindunzen 
mit den fremden Mächten zu beweisen, daß Frankreich aufrichtig den Frie- 
den wünschte; daß es, ohne auf einen legitimen Einfluß zu verzichten, nicht 
beanspruchte, sich in Etwas zu mischen, wo seine Interessen nicht im Sxpiel 
waren; daß endlich, wenn es Sympathieen hatte für Alles, was edel und 
groß ist, es nicht zögerte, Alles zu verwerfen, was das Völkerrecht und die 
Gerechtigkeit verletzte. Ereignisse, welche schwer vorauszusehen waren, haben 
in Itallen eine schon verwickelte Situation noch complizirter gemacht. 
Meine Regierung, mit ihren Alllrten übereinstimmend, hat geglaubt, daß 
das beste Mittel zur Beschwörung größerer Gefahren die Zuflucht zum 
Ptinzip der Nichtintervention sei, welches jedes Land Herr seiner Schicksale 
sein läßt, die Fragen localisirt und sic verhindert, in europäische Conflikte 
auszuarten. Allerdings, ich weiß es, dieses System hat den Nachtbeil, viele 
bedauerliche Ercesse anscheinend gutzuheißen und die ertremen Meinungen 
mürden vorziehen, die Eine, daß Paekuecch für alle Nevolniionen thatsäch- 
lich Partei ergriffe, die Andere, daß es sich an die Sxltze einer allgemeinen 
Reaction stelle. Ich werde mich von meinem Wege durch keine dieser ent- 
gegengesetzten Aufreizungen abbringen lassen. Es genügt der Größe des 
Landes sein Recht da aufrecht zu erhalten, wo es unbestreitbar ist, seine 
Ehre da zu vertheidigen, wo sie angegriffen ist, und da selne Unterstützung 
zu gewähren, wo sie zu Gunsten einer gerechten Sache angerufen wird. 
Nach Gaecta habe ich meine Flolte in dem Augenblicke geschickt, wo sie die
	        
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