Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

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Preußen. 
reichen. Sein unmittelbarer Einfluß auf diesen Gebieten ist gering. Seine 
Einwirkung wird mit Eifersucht und Mißtrauen betrachtet. Aber eine ent- 
scheidende Macht hat es in der Controle über die Geldmittel 
des Landes. Hier hat es daher die unabweisliche Pflicht, diese Controle 
unbeirrt nach bestem Wissen und Gewissen zu üben, sie nicht zu einem lee- 
ren Schein werden zu lassen, durch ihre Handhabung aber auch auf andere 
Reformen hinzuwirken. Die Regierung erhebt noch überall den Anspruch, 
ihren Willen allein entscheiden zu sehen, macht noch überall den absolu- 
tistischen Vorbehalt, ihrerseits jedes Zugeständniß an die Volksvertretung zu 
versagen, keine Schranke ihres Gutbefindens anzuerkennen, die Nachgiebig- 
keit immer von der anderen Seite zu verlangen. Als sie in der Annahme 
eines Antrages, welcher dem verfassungsmäßigen Rechte der Bewilligung 
und Ueberwachung der Staatsgelder Wirksamkeit und Nachdruck geben sollte, 
ein Vorzeichen fand, daß die Mehrheit des Abgeordnetenhauses entschlossen 
war, sich nicht von der Regierung abhängig zu machen, sondern selbst- 
ständig in den Fragen zu entscheiden, welche seiner verfassungsmäßigen 
Beschlußnahme unterliegen, da löste sie das Haus auf. Sie ließ es nicht 
zur sachlichen Entscheidung über die Militärvorlagen kommen, für 
welche sie in diesem Hause keine unbedingte Zustimmung mehr erwartete. 
Die erste wichtige Angelegenheit der inneren Politik, welche nach der 
schwerfälligen Geschäftsordnung des Hauses zur Abstimmung gelangte, ver- 
einigte gegen die vertröstenden Wünsche der Regierung die Mehrheit der Ab- 
geordneten und zeigte sie entschlossen, rückhaltslos nach dem zu handeln, was 
sie als ihre Pflicht erkannte. Ein längeres Zögern war hier nicht zulässig. 
Denn einmal drohte die Gesetzesvorlage über die Oberrechnungskammer das 
unzureichende Herkommen, welches die Bewilligung der Geldmittel durch die 
Volksvertretung fast bedeutungslos machte, für die Zukunft gesetzlich zu be- 
festigen. Und andererseits durfte eine strenge Festsetzung der Militär- 
ausgaben nicht länger hinausgeschoben werden, wenn nicht die Lasten 
der dreijährigen Dienstzeit und des übermäßigen Militärauf- 
wandes, welche jeder erwünschten Verbesserung auf andern Gebieten hin- 
dernd entgegenstehen, unabänderlich werden sollten. Wir glauben, daß die 
allgemeine Wehrpflicht zur vollständigen Entwickelung der Wehrkraft des 
Volkes nur dann durchführbar ist, wenn neben anderen Ersparungen durch 
die Einführung der zweijährigen Dienstzeit für die Infanterie 
unter Beibehaltung der volksthümlichen Grundlagen des 
Heeres die Opfer an Geld und Menschenkräften erleichtert werden. Sollte 
die Verfassung nur dienen, um Geld und Soldaten in größerem Maße zu 
beschaffen, als es ohne sie jemals möglich gewesen wäre, so hätte sie in der 
That wenig Werth. Wir meinen, daß diejenigen der Krone und dem Volke 
gleich schlecht dienen, welche beide in Conflicte bringen. Wir meinen, daß 
die wahren Interessen beider in Preußen untrennbar zusammenfallen, und 
daß man nicht das Königthum bekämpft, wenn man eine Anforderung der 
Regierung ablehnen zu müssen glaubt. Die Regierung mochte mit einigem 
Rechte annehmen, daß die bedeutenden Verhandlungen, welche in der nächsten 
Zeit bevorstanden, den Einfluß und das Ansehen der liberalen Mehrheit im 
Lande stärken und die Aussichten auf ministerielle Neuwahlen mindern wür- 
den. Daher beeilte sie die Auflösung, ohne auch nur eine vorläufige Be- 
willigung der Staatsausgaben zu verlangen. Wir aber hoffen, das preußische 
Volk wird sich über die Lage der Dinge nicht täuschen. Im vorigen Jahre 
hat es dem Aufrufe vom 29. September 1861 gemäß eine Mehrheit von 
Abgeordneten gewählt, die den Standpunkt eines wahren, verfassungsmäßi- 
gen Constitutionalismus rückhaltlos vertraten. Wir erwarten, es wird jetzt 
dasselbe thun. — Die Minister haben Berufung an das Volk eingelegt, 
durch die Wahl neuer Vertreter seine Meinung kund zu geben. Wir hoffen 
guf einen unzweideutigen Ausdruck derselben. Die Sache liegt einfach. Es
	        
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