Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

Preußen. 135 
Hindeutungen auf vermeintliche Erschöpfung der Landeskräfte schienen bereit, 
auf ein ausgetheiltes Losungswort zu verstummen, wenn die Regierung 
Sr. Maj. sich willig finden ließe, den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses 
in der auswärtigen, wie der inneren Politik, in der Handhabung der Ver- 
waltung, wie in der Gesetzgebung, in der Zusammensetzung des Minister- 
rathes, wie in der Umgestaltung des Herrenhauses, einen entscheidenden 
Einfluß einzuräumen, d. h. die Fülle der Gewalt von der Krone 
auf das Abgeordnetenhaus zu übertragen. Als der Kammer- 
mehrbeit kein Zweifel mehr darüber blieb, daß die Regierung auf ein sol- 
ches Ansinnen nicht eingehen werde, da war der Krieg gegen das Ministe- 
rium beschlossen, und der Hagen'sche Antrag bot den willkommenen Anlaß 
zur Eröffnung der Feindseligkeiten. . So war die Regierung in die Noth- 
wendigkeit gedrängt worden, an die Einsicht und die Vaterlandsliebe der 
Wähler zu appelliren. Wenn aber auf einen günstigen, den gemeinsamen 
Interessen der Krone und des Landes entsprechenden Ausfall der Wahlen 
gerechnet werden sollte, so mußte jener Agitation des planlosen Fortschrittes, 
welche die jüngsten Wahlen beherrscht hatte, ein Halt zugerufen, so 
mußte jeder Zweifel über die eigentlichen Absichten der Regierung Sr. Maj. 
gehoben, so mußte vor Allem dem vielfach benutzten Manöver entgegenge- 
wirkt werden, welches sich auf die Insinuation stützte, daß die Opposition 
nur gegen einzelne Minister gerichtet sei und im Rathe der Krone 
selbst Unterstützung fände. Die Aufgabe des gegenwärtigen Cabinets 
wird sein, der öffentlichen Meinung über alle diese Punkte volle Klarheit zu 
geben. Sie wird zu betonen haben, daß es, wie bei dem jüngsten Conflikt 
mit dem Abgeordnetenhause, so bei den nächsten Wahlen sich nicht um 
Einzel-Angelegenheiten von mehr oder minder untergeordneter Bedeutung, 
sondern um die hochwichtige Frage handelt, ob die Macht der Regie- 
rung bei der Krone, welcher sie durch die monarchischen Ueberlieferun- 
gen, wie durch die Verfassungs-Urkunde des preußischen Staates angehört, 
bleiben oder ob sie dem Abgeordneenhause zufallen soll. 
24. März. Confidentielles Schreiben des Finanzministers v. d. Heydt 
an den Kriegsminister v. Roon: 
„ Für die Staats-Regierung ist es von der größten Wichtigkeit, daß die 
bevorstehenden Wahlen zum Abgeordnetenhause günstig aus- 
fallen, und sie darauf rechnen kann, die Majorität des Hauses für sich zu 
haben. Sie wird zu dem Behufe bemüht sein müssen, Alles aus dem Wege 
zu räumen, was nach den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit dazu 
beitragen kann, die der Regierung feindlichen Elemente von dem Abgeord- 
netenhause fern zu halten. Wie Ew. Erc. nicht entgangen sein wird, sind 
es hauptsächlich zwei Gegenstände, nämlich die Erhöhung des Militär-- 
Etats und die beabsichtigte Forterhebung der Zuschläge von 25 " 
zur Einkommen= und Classensteuer und Mahl= und Schlachtsteuer, welche bei 
den letzten Wahlen in allen Landestheilen von der sog. Fortschrittspartei als 
Agitationsmittel gegen die Regierung benutzt worden sind, um die öffentliche 
Meinung für sich zu gewinnen und die Wahlen auf sich zu lenken. Mit 
welchem Erfolge dies geschehen, hat die Zusammensetzung des ausgelösten 
Abgeordnetenhauses gezeigt. Auch gegenwärtig werden diese Fragen ausge- 
beutet, um auf die bevorstehenden Wahlen einzuwirken, und es liegt die Be- 
sorgniß nahe, daß wenn nicht geeignete Vorkehrungen getroffen werden, der 
Erfolg nicht minder günstig sein werde, als früher, da selbst die Organe der 
sog. liberalen Partei unverhohlen aussprechen, daß letztere dem Militär-Etat 
nur bedingt ihre Zustimmung geben könne, und sich gegen die Forterhe- 
bung der Steuerzuschläge erklären müsse. Die Staatsregierung wird diese 
Wahrnehmungen nicht unbeachtet lassen dürfen, sondern ernstlich und recht- 
zeitig zu prüfen haben, ob sie bei unveränderter Beibehaltung des Militär-
	        
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