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Frankrtich.
ligiöse Frage verschlimmert wesentlich die Lage und vervielfältigt die Gegner
der neuen Lage der Dinge jenseits der Alpen. Vor Kurzem war ihr die
absolutistische Partei allein feindlich; heute sind es, die meisten katholischen
Völker Europa's und diese Feindseligkeit steht nicht. nur den wohlwollenden
Absichten der Regierungen im Wege, welche ihr Glaube an den heil. Stuhl
bindet, sondern sie behindert auch die günstigen Dispositionen der protestan-
tischen oder schismatischen Regierungen, welche einer beträchtlichen Fraction
ihrer Unterthanen Rechnung zu tragen haben. So ist es überall die reli-
giöse Idee, welche der öffentlichen Meinung für Italien schadet (relroidi#).
Seine Aussöhnung mit dem Papste würde manche Schwierigkeit hinweg-
räumen und auch Millionen von Gegnern mit ihm aussöhnen. Auf der
anderen Seite hat der Paxpst ein gleiches, wenn nicht stärkeres Interesse an
dieser Aussöhnung, denn wenn der heilige Stuhl eifrige Stützen zählt unter
allen eifrigen Katholiken, so hat er Alles gegen sich, was liberal ist in Eu-
ropa. Er gilt in politischer Hinsicht als der Repräsentant der Vorurtheile
des ehemaligen Regime und in den Augen Jtalien's als der Feind seiner
Unabhängigkeit, als der treueste Anhänger der Reaction. In der That ist
er von den exaltirtesten Anhängern der gefallenen Dyngstien umgeben und
diese Umgebung ist nicht darnach angethan, um die Sympathien der Völker,
welche diese Dynastien umstürzten, für ihn zu vermehren. Indessen schadet
dieser Stand der Dinge noch weit weniger dem Souverain als dem Ober-
haupt der Religion. In den katholischen Ländern, wo die neuen Ideen eine
große Macht üben, fangen selbst die ihrem. Glauben am Treuesten anhan-
genden Männer an, Gewissensscrupel zu verspüren, und Zweifel bemächtigen
sich ihres Geistes — sie vermögen nicht, ihre politischen Ueberzeugungen
mit religiösen Principien zu vereinbaren, welche die moderne Civilisation zu
verdammen scheinen. — Wenn diese Lage, voll von Gefahren, sich verlän-
gern sollte, so könnten die politischen Meinungsverschiedenheiten möglicher
Weise zu bedauerlichen Zwistigkeiten in der Religion selbst führen. Das
Intercsse des heil. Stuhles, jenes der Religion fordern also, daß der Papst
sich mit Italien aussöhne; denn das heißt sich mit den modernen Ideen
aussöhnen, im Schooße der Kirche 200 Millionen Katholiken erhalten
und der Religion einen neuen Glanz verleihen, indem man den Glau-
ben als Stütze des Fortschrittes der Menschheit zeigen würde.
„Aber auf welche Grundlagen ein so wünschenswerthes Werk grün-
den? Zur wahren Würdigung der Dinge zurückgeführt, würde der Papst
die Nothwendigkeit erkennen, Alles anzunehmen, was ihn an Italien wieder
knüpfen kann und Italien würde, den Rathschlägen einer klugen Politik
nachgebend, es nicht verweigern, die nöthigen Garantien zu treffen für die
Unabhängigkeit des Papstes und die freie Ausübung seiner Gewalt. Man
würde diesen doppelten Zweck durch eine Combination erreichen, nach
welcher der Papst Herr bleiben würde hei sich, gleichzeitig
aber die Schranken fallen würden, welche seine Staaten
heute vom übrigen Italien trennen. Auf daß er Herr bei sich sei,
muß die Unabhängigkeit ihm gesichert und seine Regierung frei von sei-
nen Unterthanen angenommen sein. Es ist zu hoffen, daß dies der
Fall sein wird, wenn einerseits die Italienische Regierung sich Frankreich ge-
genüber verpflichten würde, die Kirchenstaaten, die vereinbarte Abgrenzung
anzuerkennen; wenn andererseits die Regierung des heil. Stuhls
auf alte Traditionen verzichten und die Privilegien der Mu-
nicipalitäten, sowie der Provinzen in der Weise anerkennen
würde, daß sie sich gewissermaßen selbst verwalten würden;
denn dann würde die Macht des Papstes in einer höheren Sphäre oberhalb
untergeordneter Interessen der Gesellschaft schweben und sich von jener stets
schwer lastenden Verantwortlichkeit los machen, die eine starke Regierung
allein zu tragen vermag. Die vorstehenden allgemeinen Andeutungen sind