Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

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Frankrtich. 
ligiöse Frage verschlimmert wesentlich die Lage und vervielfältigt die Gegner 
der neuen Lage der Dinge jenseits der Alpen. Vor Kurzem war ihr die 
absolutistische Partei allein feindlich; heute sind es, die meisten katholischen 
Völker Europa's und diese Feindseligkeit steht nicht. nur den wohlwollenden 
Absichten der Regierungen im Wege, welche ihr Glaube an den heil. Stuhl 
bindet, sondern sie behindert auch die günstigen Dispositionen der protestan- 
tischen oder schismatischen Regierungen, welche einer beträchtlichen Fraction 
ihrer Unterthanen Rechnung zu tragen haben. So ist es überall die reli- 
giöse Idee, welche der öffentlichen Meinung für Italien schadet (relroidi#). 
Seine Aussöhnung mit dem Papste würde manche Schwierigkeit hinweg- 
räumen und auch Millionen von Gegnern mit ihm aussöhnen. Auf der 
anderen Seite hat der Paxpst ein gleiches, wenn nicht stärkeres Interesse an 
dieser Aussöhnung, denn wenn der heilige Stuhl eifrige Stützen zählt unter 
allen eifrigen Katholiken, so hat er Alles gegen sich, was liberal ist in Eu- 
ropa. Er gilt in politischer Hinsicht als der Repräsentant der Vorurtheile 
des ehemaligen Regime und in den Augen Jtalien's als der Feind seiner 
Unabhängigkeit, als der treueste Anhänger der Reaction. In der That ist 
er von den exaltirtesten Anhängern der gefallenen Dyngstien umgeben und 
diese Umgebung ist nicht darnach angethan, um die Sympathien der Völker, 
welche diese Dynastien umstürzten, für ihn zu vermehren. Indessen schadet 
dieser Stand der Dinge noch weit weniger dem Souverain als dem Ober- 
haupt der Religion. In den katholischen Ländern, wo die neuen Ideen eine 
große Macht üben, fangen selbst die ihrem. Glauben am Treuesten anhan- 
genden Männer an, Gewissensscrupel zu verspüren, und Zweifel bemächtigen 
sich ihres Geistes — sie vermögen nicht, ihre politischen Ueberzeugungen 
mit religiösen Principien zu vereinbaren, welche die moderne Civilisation zu 
verdammen scheinen. — Wenn diese Lage, voll von Gefahren, sich verlän- 
gern sollte, so könnten die politischen Meinungsverschiedenheiten möglicher 
Weise zu bedauerlichen Zwistigkeiten in der Religion selbst führen. Das 
Intercsse des heil. Stuhles, jenes der Religion fordern also, daß der Papst 
sich mit Italien aussöhne; denn das heißt sich mit den modernen Ideen 
aussöhnen, im Schooße der Kirche 200 Millionen Katholiken erhalten 
und der Religion einen neuen Glanz verleihen, indem man den Glau- 
ben als Stütze des Fortschrittes der Menschheit zeigen würde. 
„Aber auf welche Grundlagen ein so wünschenswerthes Werk grün- 
den? Zur wahren Würdigung der Dinge zurückgeführt, würde der Papst 
die Nothwendigkeit erkennen, Alles anzunehmen, was ihn an Italien wieder 
knüpfen kann und Italien würde, den Rathschlägen einer klugen Politik 
nachgebend, es nicht verweigern, die nöthigen Garantien zu treffen für die 
Unabhängigkeit des Papstes und die freie Ausübung seiner Gewalt. Man 
würde diesen doppelten Zweck durch eine Combination erreichen, nach 
welcher der Papst Herr bleiben würde hei sich, gleichzeitig 
aber die Schranken fallen würden, welche seine Staaten 
heute vom übrigen Italien trennen. Auf daß er Herr bei sich sei, 
muß die Unabhängigkeit ihm gesichert und seine Regierung frei von sei- 
nen Unterthanen angenommen sein. Es ist zu hoffen, daß dies der 
Fall sein wird, wenn einerseits die Italienische Regierung sich Frankreich ge- 
genüber verpflichten würde, die Kirchenstaaten, die vereinbarte Abgrenzung 
anzuerkennen; wenn andererseits die Regierung des heil. Stuhls 
auf alte Traditionen verzichten und die Privilegien der Mu- 
nicipalitäten, sowie der Provinzen in der Weise anerkennen 
würde, daß sie sich gewissermaßen selbst verwalten würden; 
denn dann würde die Macht des Papstes in einer höheren Sphäre oberhalb 
untergeordneter Interessen der Gesellschaft schweben und sich von jener stets 
schwer lastenden Verantwortlichkeit los machen, die eine starke Regierung 
allein zu tragen vermag. Die vorstehenden allgemeinen Andeutungen sind
	        
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