Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

Rom. 295 
Nehmt Euch wohl in Acht, daß bei dem bevorstehenden Zusammentritt der 
Bischöfe in Rom nicht die weltliche Herrschaft als Dogma erklärt werde". 
Wäre der arme Priester hier, den Wir viel lieber elnen guten Priester nen- 
neun möchten, so würden Wir ihm sagen, wie Wir es Euch, die ihr anwe- 
send seid, sagen: Seid sicher, daß der heilige Stuhl die weltliche Herrschaft 
nicht als Dogma des Glaubens aufstellt; er erklärt jedoch, daß die weltliche 
Herrschaft nothwendig und unerläßlich ist, so lange diese Anordnung der 
Vorsehung andauert, um die Unabhängigkeit der geistlichen Macht aufrecht 
zu halten... Aus einem Uns naheliegenden Reiche sind uns Zuschriften 
einiger Geistlichen zugekommen, in denen sie Uns in heuchlerischer Weise in- 
sinuiren, Verzicht zu leisten auf die weltliche Herrschaft, die für sie, oder 
besser gesagt, für ihre Rathgeber höchst unbeqguem und ein Hinderniß für die 
Vollführung ihrer antichristlichen und antisozialen Auschläge ist. Gleichzeitig 
sind Uns aber auch andere, gleichfalls von Geistlichen unterschriebene Briefe 
zugekommen, voll ehrfürchtiger Liebe für diesen heil. Stuhl, aus welchen 
Briefen hervorgeht, daß jene Regierung- oder ihre Repräsentanten oder 
Emissäre gedruckte Formulare entsenden, die Wir gelesen und gesehen 
haben, wobei irgend einem armen Priester oder Kleriker insinuirt wird, sie 
zu unterzeichnen, in dem doppelten Zwecke, glauben zu machen, daß der 
Klerus das ungereimte Prinzip der Unvereinbarkeit der geistlichen mit 
der weltlichen Herrschaft aufstellt und um eine Spaltung herbeizuführen 
zwischen dem niederen Klerus und dessen Bischöfen, deren bewundernswerthe 
Eintracht in diesen Momenten die Bewunderung der ganzen Welt erregt. 
Die guten Geistlichen, die Uns schreiben, bitten Uns, keinen Glauben beizu- 
messen den Verirrungen weniger Abgewichenen. . Wir unsererseits wollen 
trachten, daß die Umtriebe zur Herbeiführung einer Spaltung zwischen den 
Hirten und der Heerde nicht geliungen sollen“. 
23. April. Der Paypst erläßt ein Rundschreiben an die Bischöfe im Orient, wo- 
rin er entwickelt, daß das Vorrecht des Sitzes des heiligen Petrus und die 
Verschiedenheit der kirchlichen Riten der katholischen Kirche nicht entgegen 
sind. Der Papst zeigt an, daß er eine Bruderschaft zum Zweck der Prepa- 
ganda für die orientalische Kirche gebildet hat und sordert von den Bischöfen 
einen detaillirten Bericht über den Zustand ihrer Diözesen. Der Papst srricht 
außerdem das Verlangen aus, die orientalischen Bischöfe gelegentlich der 
Kanonisation der japanesischen Märtyrer in Rom umarmen zu können. 
28. „ Da Rußland verlangt, daß ein päpstlicher Nuntius in St. Petersbur 
die Beziehungen mit der katholischen Geistlichkeit Rußlands (Polen) nur durc 
das Mi#ttel des Kultusministertums unterhalte, so verzichtet der Papst 
darauf, einen Nuntius dahin zu senden. 
15. Mai. Zusammentritt des Concils in Rom. Französische Bischöfe, 
Priester und Laien finden sich dabei so zahlreich ein, daß es wie 
eine andere „französische Invasion“ erscheint. 
19. „ General Goyon verläßt Rom. (s. Febr.) 
22. „ Das Concil spricht die Kanonisation der Japanischen Märtyrer aus. 
9. Juni. Allocution des Papstes im versammelten Concil: 
... Mit Stillschweigen übergehen wir die so mancherlei schweren Be- 
leidigungen, Schmähungen und Kränkungen, wodrurch die Diener der Kirche 
und dieser apostolische Stuhl versolgt werden. Auch reden wir nicht von 
jener abscheulichen Heuchelei, womit die Häupter und Spießgesellen dieser 
Auflehnung und dieser Unordnung, besonders in Italien, sich den Schein 
geben, als wollten sie, daß die Kirche sich der Freiheit erfreue, während sie 
mit kirchenschänderischer Frechheit täglich mehr und mehr die Rechte dieser
	        
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