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BGeilage I.
der Bundesversammlung in dieser Angelegenheit, gegen die sich bekanntlich
schon zweifelnde und absprechende Stimmen erhoben haben. Hier sei nun
zunächst soviel gewiß, daß die Bundesversammlung kein Gerichtshof sei, welcher
mit bindender Kraft über Erbfolgestreitigkeiten zu entscheiden hätte; nur müsse
man dabei wohl beachten, daß dieser Satz nicht etwa ausschließlich oder in
besonderer Weise von der hohen Bundesversammlung gelte. Er gelte von jeder
anderen europäischen Macht ganz genau ebenso wie vom deutschen Bunde.
„Wenn in einem einzelnen unabhängigen Staat ein Streit über die Thronfolge
entsteht, so sind die Staaten weder einzeln, noch im Verein berechtigt, über
diesen Streit eine richterliche Entscheidung zu treffen, aber sie können sich ver-
anlaßt sehen, sich darüber auszusprechen, welchen der verschiedenen Prätendenten
sie anerkennen wollen, und welche Folge sie dieser Anerkennung geben wollen.
Dabei ist es ihre Sache, ob sie sich bei ihrer Entschließung lediglich von ihrer
rechtlichen Ueberzeugung oder auch ausschließlich von politischen Erwägungen
leiten lassen. . Durch diese Sätze ist das Verhältniß des deutschen Bundes
zu dem Streite über die Erbfolge in Schleswig jedenfalls im Allgemeinen
auch geregelt und man wird dem Bunde in keiner Weise das Recht bestreiten
können, sich darüber auszusprechen, wen er als Herzog von Schleswig aner-
kennen wolle. . Anders gestaltet sich die Sache in Bezug auf Holstein. Hier
tritt zu dem soeben erörterten allgemeinen Rechte noch die besondere Befugniß
hinzu, welche jeder Genossenschaft zusteht, sich darüber klar zu werden und
auszusprechen, welchen Fürsten sie als ihren Bundesgenossen zu betrachten
habe, und diese Befugniß steigert sich zu einer unabweislichen Verpflichtung,
wenn man erwägt, daß der Zweck des Bundes die Erhaltung der äußeren
wie der inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unver-
letzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten- ist. Daß dieser Bundeszweck bei
jedem Streite über die Erbfolge in einem Bundesstaate wesentlich berührt
wird und daß er bei dem jetzt schwebenden Streite über die Erbfolge in Hol-
stein geradezu gefährdet erscheint, bedarf wohl keines weiteren Nachweises.
Hieraus soll übrigens keineswegs gefolgert werden, daß um dieser Befugniß
und Verpflichtung willen die Bundesversammlung, wenigstens für Bundes-
lande, das oberste Tribunal zur Entscheidung von Erbfolgestreitigkeiten sei.
Vielmehr ist vollständig anzuerkennen, daß, wenn in der Verfassung eines
Bundesstaates eine Fürsorge irgend welcher Art für die Entscheidung von
Erbstreitigkeiten getroffen ist, die Bundesversammlung dieser Entscheidung in
keiner Weise vorzugreifen berechtigt wäre. Ebenso würde eine freiwillige Ver-
einbarung aller Betheiligten von der Bundesversammlung anzuerkennen sein.
Wo aber weder das Eine noch das Andere vorliegt, da tritt die Verpflichtung
der eigenen Entschließung unmittelbar an die Bundesversammlung heran, und
bei dieser muß sie sich von Gründen des Rechtes allein leiten lassen. Am
allerwenigsten aber darf sie diese Entschließung ganz oder theilweise aus der
Hand und fremder Einwirkung oder Entscheidung Preis geben. Die hohe
Bundesversammlung kann sich daher einer Beschlußfassung darüber nicht länger
entschlagen, welchen der beiden Prätendenten sie als legitimirt erachten und
zur Stimmführung zulassen wolle. Man kann sogar zugeben, daß darin
keine unabänderliche Entscheidung der Erbstreitigkeiten enthalten sein wird,
und’ daß auf die Frage zurückzukommen wäre, wenn von irgend welcher Seite
noch Beweise besseren Rechtes erbracht würden. Man kann dies um so leichter,
je fester eben diese Ueberzeugung ist, daß diese Eventualität nicht eintreten kann.
.. Aus diesen Erwägungen ergibt sich auch, daß man nicht sagen kann, die
hohe Bundesversammlung verletze, wenn sie jetzt eine Entschließung fasse,
den Grundsatz des rechtlichen Gehöres für alle streitenden Theile, daß man
aber wohl sagen müsse, die hohe Bundesversammlung verzögere die Erfüllung
ihrer obrigkeitlichen Pflichten, wenn sie ihre Entschließung länger aussetze.“
12. März. (Schleswig). Die Allirrten besetzen Scanderborg und Nar-
huus in Jütland.