Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

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Preußen und der norddeutsche Pund. 
derseitigen Bevölkerung entsprechen, veranlaßt mich, der kais. und kgl. österr.= 
ungarischen Regierung den Standpunkt darzulegen, welchen die Regierung Sr. 
Maj. des Königs in Bezug auf diese Neugestaltung der deutschen Verhältnisse 
einnimmt. In dem Frieden vom 23. August 1866 ist der Voraussetzung 
Ausdruck gegeben, daß die deutschen Regierungen südlich vom Main zu einem 
Bunde zusammentreten würden, welcher neben einer eigenen unabhängigen 
Stellung zugleich zu dem Bunde der norddeutschen Staaten in engere natio- 
nale Beziehungen treten würde. Die Verwirklichung dieser Voraussetzung 
blieb jenen Regierungen überlassen, da keiner der beiden contrahirenden Theile 
durch den Friedensschluß berechtigt oder verpflichtet werden konnte, den soure- 
ränen süddeutschen Staaten über die Gestaltung ihrer Beziehungen zu einan- 
der Vorschriften zu machen. Die süddeutschen Staaten haben es ihrerseits 
unterlassen, den Gedanken des Prager Friedens zu verwirklichen. Sie haben 
die Herstellung der in Aussicht genommenen natienalen Beziehungen zu Nord- 
deutschland zunächst in Gestalt des Zollvereins und gegenseitiger „Garantie- 
verträge angestrebt. Es lag außerhalb menschlicher Berechnung, daß diese 
Einrichtungen unter dem Drange der mächtigen Entwicklung, zu welcher ein 
unerwarteter französischer Angriff das deutsche Nationalgefühl aufrief, ihren 
Abschluß in den jetzt vorliegenden Verfassungsbündnissen und in der Errichtung 
eines neuen deutschen Bundes finden sollten. Es konnte nicht der Beruf Nord- 
deutschlands sein, diese nicht von uns herbeigeführte, sondern aus der Geschichte 
und dem Geiste des deutschen Volkes hervorgegangene Entwicklung zu hem- 
men oder abzuweisen. Auch die k. k. Regierung von Oesterreich-Ungarn, da- 
von sind wir durch Ew. Hochwohlgeb. Berichterstattung versichert, erwartet 
und verlangt nicht, daß die Bestimmungen des Prager Friedens die gedeih- 
liche Entwicklung der deutschen Nachbarländer erschweren sollen. Die kaiserliche 
Regierung sieht der Neugestaltung, in welcher die deutschen Verhältnisse be- 
griffen sind, mit dem berechtigten Vertrauen entgegen, daß alle Genossen des 
neuen deutschen Bundes und insbesondere der König, unser allergnädigster 
Herr, von dem Verlangen beseelk sind, die freundschaftlichen Beziehungen 
Deutschlands zu dem österreichisch-ungarischen Nachbarreiche zu erhalten und 
zu fördern, auf welche beide durch die ihnen gemeinsamen Interessen und die 
Wechselwirkung ihres geistigen, wie ihres materiellen Verkehrslebens ange- 
wiesen sind. Die verbündeten Regierungen hegen ihrerseits die Zuversicht, daß 
derselbe Wunsch auch von der österreichisch-ungarischen Monarchie getheilt wird. 
Die bevorstehende Befriedigung der nationalen Bestrebungen und Bedürfnisse 
des deutschen Volkes wird der weiteren Entwicklung Deutschlands eine Stetig- 
leit und Sicherheit verleihen, welche von ganz Europa und besonders den 
Nachbarländern Deutschlands nicht allein ohne Besorgniß, sondern mit Genug- 
thuung wird begrüßt werden können. Die ungehemmte Entfaltung der ma- 
teriellen Interessen, welche die Lander und Völker mit so mannigfaltigen Fäden 
verbinden, wird auf unsere politischen Beziehungen eine wohlthätige Rückwir- 
kung äußern. Deutschland und Oesterreich-Ungarn, wir dürfen es zuversichtlich 
hoffen, werden mit den Gefühlen des gegenseitigen Wohlwollens auf einander 
blicken und sich zur Förderung der Wohlfahrt und des Gedeihens beider Län- 
der die Hand reichen. . Sobald die Grundverträge des neuen Bundes die 
Ratification allerseits erhalten haben, werde ich E. H. zu amtlicher Mittheilung 
derselben an den Herrn Reichskanzler in den Stand setzen. Ich ersuche E. 
H. ergebenst, diesen Erlaß dem Herrn Reichskanzler vorzulesen und ihm eine 
Abschrift von demselben zu übergeben.“ « - 
14. Dez. (Preußen). Eröffnung des Landtags durch eine Rede des 
Handelsministers Graf Itzenplitz als ältesten Ministers: 
„Seit Monaten nimmt ein blutiger Krieg für des Vaterlandes Unabhän= 
keit die ganze Kraft des Volkes in Anspruch. Unsere Heere kämpfen unter 
unsers theuern Königs Führung mit unübertroffener Tapferkeit und Ausdauer
	        
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