Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

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Die süddeutschen Staaten. 
die durch dasselbe geschaffenen Gefahren haben jenen Gedanken nur noch ver- 
schärft, und der Umstand, daß die Existenz der deutschen Mittelstaaten nicht 
auf ihrer Macht, sondern auf ihrem Recht und auf den Verträgen beruht, 
hat dahin geführt, daß man suchte, für beide einen vertragsmäßigen Boden 
wieder zu gewinnen. Man trachtete also, die Bestimmungen des Nikolsburger 
Präliminarvertrags auszuführen; denn je länger Bayern isolirt bleibt, desto 
schwerer wird ein späteres Bündniß geschlossen werden, desto größer werden die 
Opfer sein, welche wir um dasselbe zu bringen haben. (Bravo! von der Linken.) 
Dies zeigt schon die Krisis des Zollvereins iut Oct. 1867; wäre Bayern da- 
mals abseits geblieben, so hätte es in kurzer Zeit seinen Wiedereintritt um 
jeden Preis nachsuchen müssen.— Ich bin stolz darauf, daß ich damals auch 
nur eine zeitweise Abtrennung Bayerns verhindert habe. Eine weitere Frage 
war die gleichmäßige Gestaltung des Wehrsystems. Auch ich beklage die Lasten, 
welche das neue Gesetz dem Lande auferlegt, aber diese Lasten sind nothwendig 
und können nicht vermindert werden, ohne die Pflichten zu verabsäumen, welche 
der Allianzvertrag und die Interessen Deutschlands uns auferlegen. Dieser 
Vertrag war schon vorhanden, als ich in das Ministerium eintrat, und ich 
habe nie, wie mir vorgeworfen wurde, ihn abgeleugnet, ich habe nur das Ge- 
heimniß, das mir auferlegt war, gewahrt. Der Adreßentwurf betont es, daß 
kein Vertragsbruch begangen werden solle. Es gibt aber zweierlei Vertrags- 
bruch: einen offenen und einen versteckten. (Stürmisches Bravo von der Linken.) 
Wir haben die neue Wehrverfassung nicht eingeführt, weil wir Preußen zu 
folgen haben, sondern deßhalb, weil Bayern ein werthvoller Alliirter sein soll. 
Die Gemeinsamkeit des deutschen Südens erschien mir in jeder Hinsicht und 
auch dem Norden gegenüber von hohem Werth, deßhalb habe ich auch mit 
diesen Staaten Verträge abgeschlossen, welche unsere Interessen verketten und 
unsere Wehrhaftigkeit erhöhen. Hieraus ergibt sich, daß die Regierung Alles 
gethan hat, Deutschland vor weiterer Zersplitterung zu bewahren und hier- 
durch zur Erhaltung des europäischen Friedens beizutragen. Man urtheile über 
meine Thätigkeit, wie man will, es wird kein anderer bayerischer Minister 
einen andern Weg gehen können, den Prager Frieden mit der Selbstständigkeit 
Bayerns im Einklang zu erhalten, als den ich gegangen bin. Theoretische Aus- 
arbeitungen, um andere Bahnen zu bezeichnen, helfen nicht; eine solche theo- 
retische Ausarbeitung ist das Project des Südbunds. (Bravo! von der Linken.) 
Wenn der Südbund nicht ein Scheinbild sein soll, so müßten einzelne Staaten 
auf einen gewissen Grad ihrer Selbständigkeit verzichten; das läßt sich bei Baden 
und Württemberg nicht voraussetzen, und würden sie es, sie thäten es dann 
lieber zum Eintritt in ein ganzes Deutschland, als zu dem in einen Sonder- 
bund. Die Verfassung des norddeutschen Bundes ist so gestaltet, daß Bayern 
sie nicht annehmen kann. Erstrebt man dennoch unsern Eintritt, so wäre das 
eine Pflege des nationalen Gedankens, die einem bayerischen Minister nicht 
erlaubt ist; aber auch die Pflege unserer Selbständigkeit könnte zu weit aus- 
gedehnt werden, wenn man nämlich vergessen wollte, daß Bayern ein Theil 
des großen deutschen Vaterlandes ist. (Bravo! von der Linken.) Der Adreß- 
entwurf erklärt sich mit den Grundsätzen einverstanden, welche die Thronrede 
aussprach, und welche zugleich die meiner Politik sind; dennoch spricht sie mir 
persönlich Mißtrauen aus. Ich muß daher bitten, daß nachgewiesen werde, 
wo ich der Dynastie und dem Lande Schaden zu bereiten geeigenschaftet sei. 
Freilich, wenn diese Eigenschaft darin besteht, daß ich unfähig bin, ein dop- 
peltes Spiel zu spielen, zugleich dem norddeutschen Bunde Vertragstreue zu 
betheuern und andererseits Ränke zu schmieden, der Dynastie Ergebenheit zu 
beschwören und andererseits sie in Gefahr zu bringen — dann allerdings hat 
dieses Mißtrauen vollen triftigen Grund. (Anhaltendes Bravo! von der Linken.) 
Dr. Sepp: Seit der letzten Thronrede sind die Stellungen alle ganz verwech- 
selt worden; die damals opponirten, sind jetzt vertrauensvoll, die damals Ver- 
trauen hatten, sprechen jetzt Mißtrauen aus, und sogar die Thronrede spricht
	        
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