Die süddeutschen Staaten. 223
sich die Sache in der Folge gestalten sollte, Bayern eine völlige Unabhängig—
keit von verfassungsmäßigen Verbindungen mit den übrigen deutschen Staaten
und eine völlig unabhängige internationale Stellung gebracht. Aber auch diese
Wandlung vollzog sich, darüber ist kein Zweifel, nicht etwa in der Weise, daß
es irgend Jemand beabsichtigt hätte, es sollte so werden und nicht anders.
Nur die Unreife der Verhältnisse hat zu diesem völlig unabhängigen inter-
nationalen Standpunkt geführt. Niemand war im Zweifel darüber, ich wenig-
stens habe mich von jeher zu der Ansicht bekannt, daß die erste große Krisis
dem im Jahre 1866 geschaffenen Zustande ein Ende machen werde. Die Un-
gewißheit bestand nur, meines Erachtens, darüber, wie dieses geschehen werde,
ob mit entsprechender Schonung unserer berechtigten Eigenthümlichkeiten, ob
dadurch, daß das Geschick über den Namen Bayern hinweggehe. Aber trotz
dieser unabhängigen Stellung waren und blieben die Beziehungen Bayerns
zum übrigen Deutschland so eng, daß selbst Oesterreich und Frankreich, welche
doch das dringendste Interesse gehabt hätten, alle Verbindungen zu lösen, ich
will nicht sagen, es nicht wagten, aber es nicht für angemessen hielten, von
solchen Verbindungen gänzlich abzusehen. So eng waren und blieben die
Beziehungen Bayerns zu dem übrigen Deutschland, daß in dem Augenblicke,
in welchem der alte Bund auseinanderfiel, an dessen Stelle die Allianzverträge
traten, die uns in politischer Beziehung enge mit Norddeutschland und den
übrigen deutschen Staaten in Verbindung brachten, und daß an die Stelle der
alten Beziehungen auf wirthschaftlichem Gebiete der neu formulirte Zollverein
trat, welcher uns bereits zu dem Anfange eines verfassungsmäßigen Zusammen-
schlusses mit dem übrigen Deutschland führte. Meine Herren, ich denke mir,
es kann Niemand behaupten, daß uns die Allianzverträge und der Zollverein
eine größere und wahrere Unabhängigkeit gesichert hätten, als dies bei einem
verfassungsmäßigen Bündnisse der Fall ist. Der wesentliche Unterschied zwischen
beiden besteht darin, daß wir mit den Allianzverträgen die Politik, die man
anderwärts zu machen für gut fand, einfach unfrerseits acceptiren mußten,
während wir jetzt fortwährend in der Lage sein werden, die gewichtige Stimme
Bayerns in der Ordnung der deutschen Verhältnisse zur rechten Zeit auf red-
lichem und ehrlichem Wege und, ich denke mir, nicht ohne Erfolg zu verwer-
then. Solche Erwägungen und die fest begründete Ueberzeugung, daß jetzt
die Zeit sei, um mit Wahrung aller berechtigten Interessen das Ziel zu errei-
chen, das wir früher oder später erreichen mußten, diese Ueberzeugung hat die
bayerische Staatsregierung zu der von mir bereits erwähnten Initiative ver-
anlaßt. Auch wenn Sie nüchterner, als wir es gethan haben, die Lage der
Dinge betrachten, werden Sie zu dem Schlusse kommen, daß die Stellung,
welche wir eingenommen haben, die allein richtige war, und daß wir auf dem
rechten Wege gewesen sind. Betrachten Sie die Lage der Dinge mit dem nüch-
ternsten und kältesten Blicke, so werden Sie, auch wenn es allen Ihren Em-
pfindungen widerspricht, zu dem Schlusse kommen, daß Bayern gezwungen
war, den Versuch einer Neugestaltung Deutschlands zu machen, ja, daß es in
einer Zwangslage war. Nicht als ob von Seite der deutschen Großmacht,
mit der wir transigirt haben, irgend ein Zwang geübt worden wäre. Nein!
Auch mit den Behauptungen über diesen Punkt im norddeutschen Parlamente
hat es seine Richtigkeit. In den loyalsten Worten hat man uns zu wieder-
holten Malen bestätigt, wir würden von keiner Seite einen Zwang zur Eröff-
nung und Weiterführung der Verhandlungen über die Neugestaltung Deutsch-
lands zu erleiden haben, ja nicht einmal Vorschläge hat man uns gemacht,
um, wie es in den betreffenden Eröffnungen heißt, nicht unsere Empfindungen
zu verletzen. Schätzen Sie diese Loyalität so gering, als Ihnen gut dünkt,
indem Sie sagen, man wußte auch von der andern Seite, wie weit die Mög-
lichkeit reichte, in Bayern eine vollständig isolirte Stellung zu bewahren, so
steht doch die Thatsache fest, daß man einen Zwang nicht geübt hat. Und
dennoch waren wir gezwungen, mit dem norddeutschen Bunde in Verhandlun-