Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

Anhang von Aktenstücken zur deutschen Verfassungsfrage. 249 
auch nicht zuständig sei, das Verehelichungswesen mit verbindlicher Kraft für Bayern 
zu regeln, und daß also das für den norddeutschen Bund erlassene Gesetz vom 
4. Mai 1868, die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Eheschließungen 
betreffend, jedenfalls nicht zu denjenigen Gesetzen gehört, deren Wirksamkeit auf Bayern 
ausgedehnt werden könnte. II. Von Seite des k. preußischen Bevollmächtigten wurde 
anerkannt, daß unter der Gesetzgebungsbefugniß des Bundes über Staatsbürgerrecht 
nur das Recht zu verstehen sei, die Bundes= und Staatsangehörigkeit zu regeln und 
den Grundsatz der politischen Gleichberechtigung aller Konfessionen durchzuführen, daß 
sich im übrigen diese legislative nicht auf die Frage erstrecke, unter welchen Vor- 
aussetzungen jemand zur Ausübung politischer Rechte in einem einzelnen Staate 
befugt sei. III. Die unterzeichneten Bevollmächtigten kamen dahin überein, daß in 
Anbetracht der unter Ziff. 1 statuierten Ausnahme von der Bundeslegislative der 
Gothaer Vertrag vom 15. Juli 1851 wegen gegenseitiger Übernahme der Aus- 
gewiesenen und Heimathslosen, dann, die sogenannte Eisenacher Konvention v. 11. Juli 
1853 wegen Verpflegung erkrankter und Beerdigung verstorbener Untertanen für das 
Verhältniß Bayerns zu dem übrigen Bundesgebiete fortdauernde Geltung haben soll- 
ten. IV. Als vertragsmäßige Bestimmung wurde in Anbetracht der in Bayern be- 
stehenden besondern Verhältnisse bezüglich des Immobiliarversicherungswesens und des 
engen Zusammenhanges derselben mit dem Hypothekarkreditwesen festgestellt, daß, wenn 
sich die Gesetzgebung des Bundes mit dem Immobiliarversicherungswesen befassen sollte, 
die vom Bunde zu erlassenden gesetzlichen Bestimmungen in Bayern nur mit Zustim- 
mung der bayerischen Regierung Geltung erlangen können. V. Der k. preußische 
Bevollmächtigte gab die Zusicherung, daß Bayern bei der ferneren Ausarbeitung des 
Entwurfes eines allgemeinen deutschen Zivilprozeßgesetzbuchs entsprechend beteiligt 
werde. VI. Als unbestritten wurde von dem k. preußischen Bevollmächtigten zugege- 
ben, daß selbst bezüglich der der Bundeslegislative zugewiesenen Gegenstände die in 
den einzelnen Staaten geltenden Gesetze und Verordnungen in so lange in Kraft blei- 
ben und auf dem bisherigen Wege der Einzelngesetzgebung abgeändert werden können, 
bis eine bindende Norm vom Bunde ausgegangen ist. VII. Der k. preußische Be- 
vollmächtigte gab die Erklärung ab, daß Sr. Maj. der König von Preußen Kraft 
der Allerhöchstinnen zustehenden Präsidialrechte, mit Zustimmung Sr. Maj. des 
Königs von Bayern, den k. bayerischen Gesandten an den Höfen, an welchen solche 
beglaubigt sind, Vollmacht erteilen werden, die Bundesgesandten in Verhinderungs- 
fällen zu vertreten. Indem diese Erklärung von den k. bayer. Bevollmächtigten ak- 
zeptiert wurde, fügten diese bei, daß die bayerischen Gesandten angewiesen sein würden, 
in allen Fällen, in welchen dies zur Geltendmachung allgemein deutscher Interessen 
erforderlich oder von Nutzen sein wird, den Bundesgesandten ihre Beihilfe zu leisten. 
VIII. Der Bund übernimmt in Anbetracht der Leistungen der bayerischen Regierung 
für den diplomatischen Dienst desselben durch die unter Ziff. VII erwähnte Bereit- 
stellung ihrer Gesandtschaften und in Erwägung des Umstandes, daß an denjenigen 
Orten, an welchen Bayern eigene Gesandtschaften unterhalten wird, die Vertretung 
der bayerischen Angelegenheiten dem Bundesgesandten nicht obliegt, die Verpflichtung, 
bei Feststellung der Ausgaben für den diplomatischen Dienst des Bundes der bayeri- 
schen Regierung eine angemessene Vergütung in Anrechnung zu bringen. Über Fest- 
setzung der Größe dieser Vergütung bleibt weitere Vereinbarung vorbehalten. IX. Der 
k. preußische Bevollmächtigte erkannte es als ein Recht der bayerischen Regierung an, 
daß ihr Vertreter im Falle der Verhinderung Preußens den Vorsitz im Bundesrathe 
führe. X. Zu den Art. 35 u. 38 der Bundesverfassung war man darüber einver- 
standen, daß die nach Maßgabe der Zollvereinsverträge auch ferner zu erhebenden 
Übergangsabgaben von Branntwein und Bier ebenso anzusehen sind, wie die auf die 
Bereitung dieser Getränke gelegten Abgaben. XI. Es wurde allseitig anerkannt, daß 
bei dem Abschlusse von Post= und Telegraphen-Verträgen mit außerdeutschen Staaten 
zur Wahrung der besonderen Landesinteressen Vertreter der an die betreffenden außer- 
deutschen Staaten angrenzenden Bundesstaaten zugezogen werden sollten, und daß den 
einzelnen Bundesstaaten unbenommen ist, mit anderen Staaten Verträge über das 
Post- und Telegraphenwesen abzuschließen, sofern sie lediglich den Grenzverkehr be-
	        
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