258 Oesterreich-Ungarn.
In Wahrheit hatte der Entwurf der Adresse mit der Denkschrift der Majo-
rität der Minister (vom 18. Dec. 1869) wesentlich gebrochen. Die Autono-
misten erklären daher auch, nunmehr nicht gegen, sondern für den Entwurf
stimmen zu wollen, weil derselbe dem Gedanken der Versöhnung Rechnung
trage. Zum Schluß verwahrt sich auch noch Minister Giskra als Abgeord-
neter zwar, aber doch „im Auftrag seiner Collegen", gegen die unrichtige Auf-
fassung des Memorandums. Er nimmt die Thronrede zum Ausgangspunkt
seiner Deduction und führt den Beweis, daß dieselbe mit der Adresse in Ueber-
einstimmung sei. Ueber das Memorandum geht er hinweg. „Die Regierung,
sagt er, hat die Verfassung nie als Zwölftafelgesetz betrachtet, welches unab-
änderlich sei. Kein Mitglied der Regierung hat sich jemals gegen eine Ver-
ständigung ausgesprochen — denn welcher österreichische Minister könnte die
Verantwortlichkeit dafür auf sich nehmen?"“ Eine gewisse Schwenkung im
Gegensatz gegen das Mehrheits-Memeoire ist damit unleugbar vollzogen.
Erklärung des Abg. Baron Giovanelli im Namen der Tyroler Ab-
geordneten, durch welche sie von der clericalen zur staatsrechtlichen Opposition
(der Czechen) übergehen: „Der Gedanke lebte schon lange in uns, daß unsere
Stellung hier im Hause täglich unhaltbarer wird, und daß der Augenblick
nahe sei, wo unser Verbleiben mit der Ehre und den Rechten unsers Landes
unvereinbar ist. In der gestrigen Sitzung wurde hier (von Frhrn. v. Tinti)
der Ausspruch gethan: daß wir keine Oesterreicher sind, daß unsere Heimath
Rom und unser Kaiser der Papst sei. Ich habe den Ordnungsruf verlangt,
und diese Genugthuung ist uns versagt worden. Diese Invective trifft nicht
uns allein, sie trifft ganz eigentlich die Gesinnung unserer Bevölkerung, sie
verletzt die tiefsten, heiligsten, loyalsten Gesinnungen derselben. Wir sind gegen
die Verfassung, weil sie unserem Lande schädlich ist. Nun sehen wir, daß wir
unserm Lande hier nicht mehr nützen können. Wir können nicht länger zu-
schauen, wie unsere heiligsten Gefühle auf dem Altar liberaler ministerieller
Gedankenlosigkeit geopfert werden. Wir wollen nicht länger dem System
dienen, dessen nächsten Untergang wir voraussehen. (Bravo auf der Slovenen-
bank. Ohol links). Als Tyroler, als Männer von Ehre treten wir aus
diesem Hause, mit dem Gefühle, daß wir wenigstens unsere Ehre, die Ehre
unseres Landes gewahrt haben.“ Die drei Tyroler Abgeordneten wälscher
Zunge erklären dagegen im Hause bleiben zu wollen mit der Motivirung, sie
„gäben zu, daß Aenderungen an der Verfassung nothwendig seien, daß aber
der Weg, der einzuschlagen sei, in der Verfassung selbst liege."“
Das Abg.Haus bestellt die Commission zu Vorberathung der
galizischen Resolution mit 6 Mitgliedern von der Linken, 4 von
der äußersten Linken und 4 Polen.
23. Jan. Erzherzog Karl Ludwig erwiedert den vorjährigen Besuch des
Kronprinzen von Preußen am Wiener Hofe durch einen Besuch
in Berlin.
— „ (Oesterreich). Zahlreiche Adressen an das Ministerium aus
den deutschen Kronländern, namentlich aber aus Böhmen, Mähren
und Schlesien sprechen sich für die Aufrechthaltung und Durchfüh-
rung der Verfassung und gegen die föderalistischen Forderungen der
Czechen 2c. aus.
1. Febr. (Oesterreich). Das neue Ministerium constituirt sich im
Anschluß an die frühere Majorität des Ministerrathes: Minister-
präsident: Hasner; Wagner, Landesvertheidigung; Banhans, Acker-