Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

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Cesterreich-Angarn. 
müssen wir mit Rechi besorgt sein, daß uns neue Nachtheile zugefügt werden. 
Nun heißt es, die Machtstellung des Reiches sei dadurch gesichert. Ich habe 
aber leider die Ueberzeugung, daß der Ausgleich der Machtstellung des Reiches 
Nachtheil gebracht hat, und daß dies nicht allein uns bekannt ist, sondern daß 
man es ebenso an der Spree und überall kennt, und daß man daher mit dem, 
daß man in Einem fort sagt, die Machtstellung sei gesichert, diejenigen gewiß 
nicht täuscht, die nicht getäuscht werden wollen. Zur Machtstellung gehören 
drei Dinge: Einfluß der äußern Politik, geordnete Finanzen und ein schlag- 
fertiges Heer. Ueber das erste werde ich schweigen, weil jedes von den Mit- 
gliedern sich wohl seine Meinung gebildet haben wird. Was aber die Frage 
betrifft, ob durch den Dualismus der Stand unserer Finanzen glänzender ge- 
worden ist, so dürfen wir uns nicht täuschen, daß in unserem Budget eine 
Masse von Einnahmen erscheinen, welche nur jetzt zufließen, und daß wir da- 
her in einigen Jahren in der traurigen Nothwendigkeit sein werden, für die 
Staatsbedürfnisse anderweit zu sorgen. Wie kann dies geschehen? Leider gar 
nicht, denn wir haben keine gemeinsame Staatsschuld. Eine gemeinsame Credit- 
operation ist für alle Verhältnisse unmöglich gemacht. Wenn wir auch keinen 
offensiven Krieg führen werden, so haben wir doch Nachbarn, die uns gerade 
nicht sehr freundlich gesinnt sind. Sollten wir daher für unsere Existenz einen 
Krieg führen müssen, wie soll es dann gehalten werden mit der Benützung des 
Credits! Die Delegation hat keine Geldoperation zu bewilligen, der Reichs- 
finanzminister hat sie nicht vorzunehmen; die beiden Reichstage haben zu be- 
schließen und die resp. Finanzminister haben sie durchzuführen. Ist unter sol- 
chen Verhältnissen die rasche Durchführung einer Creditoperation möglich? Ich 
komme zum dritten Momente, der Armee. Wenn wir die Sache genau be- 
trachten, haben wir drei Armeen — ein stehendes Heer, eine ungarische Land- 
wehr und eine deutsche Landwehr. Wenn man schon im Frieden drei selbst- 
ständige Gruppen des Heeres bildet, die unter sich sehr lose zusammenhängen, 
ist schon damit dasjenige, was eine einheitliche Armee macht, im vornhinein 
beseitigt. Im Falle eines Krieges aber ist jede Operation wieder an die Zu- 
stimmung beider Reichstage gebunden. Wenn ich all das zusammenfasse, komme 
ich mit gekränktem patriotischen Gefühle zu dem Ausspruche, daß die Macht- 
stellung des Reiches durch den Dualismus gewiß nicht gewonnen hat. Ein 
zweiter großer Akt war der sogenannte Ausgleich mit Galizien. Als die Re- 
vision der Februarverfassung vorgenommen wurde, war unter der Hand mit 
einer Fraction verhandelt und ihr um den Preis, daß sie überhaupt für die 
Verfassung stimme, bedeutende Concessionen in autonomistischer Nichtung ge- 
währleistet worden. Dadurch kam der Reichsrath in eine Zwangslage, und 
mußte diese Modifikationen mit blutendem Herzen annehmen. Was war die 
Folge? Daß jene Fraction bei der dritten Lesung gegen die Verfassung und 
bei den Religionsgesetzen gegen die Regierung stimmte, daß der Landtag, aus 
welchem diese Fraction hervorgegangen, ein Jahr, nachdem die Verfassung zu 
Stande gekommen war, die berühmte oder berüchtigte Resolution faßte, und 
daß die Abgeordneten, denen dies großmüthige Geschenk geworden ist, vor 
wenig Tagen das Haus verlassen haben. Das ist die Vergangenheit. Da 
darf man wohl fragen, ob wir abermals ein Experiment in der angedeuteten 
Richtung wünschen können, ob wir nicht vielmehr laut und entschieden unsere 
Stimmen erheben sollen, um alle diejenigen zu beschwören, welche jetzt die wich- 
tige Frage, wie die Regierung zu leiten ist, in Händen haben, mit sich zu 
Rathe zu gehen, ob es angezeigt ist, ein drittes, wie ich besorge, noch schlechter 
endendes Experiment zu unternehmen. Ich für meinen Theil kenne inmitten 
der Anarchie, in der wir uns befinden, doch nur Einen Weg. Er mag mo- 
mentan noch so schwierig, in seinem Verlaufe noch so mühevoll sein, er ist am 
Ende doch der einzige, und das ist, den Reichsgedanken festzuhalten. In diesem 
Sinne habe ich eine Resolution entworfen. In dieser Resolution wird Nie- 
mandem ein Vertrauensvotum gegeben, gegen Niemand ein Mißtrauen aus-
	        
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