Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

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Oesterreich-Angarn. 
kens der Reichsvertretung erachte ich eine Reform des Staatsgrundgesetzes über 
die Reichsvertretung vom 21. Dezember 1867 im Sinne des von mir einge- 
brachten Gesetzentwurfes wegen Bildung eines Volkshauses auf Grund directer 
Wahlen und Umgestaltung des Herrenhauses in ein Länderhaus für noth- 
wendig. 3. Betreffend das staatsrechtliche Verhältniß der einzelnen Königreiche 
und Länder zum Reiche, so ist die verfassungsmäßig gewährleistete staatsrecht- 
liche Einheit der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder unantast- 
bar zu erhalten; ich müßte daher jederzeit Bestrebungen entschieden entgegen- 
treten, welche dahin gerichtet sind, innerhalb des Territoriums des Reichsraths 
neue staatsrechtliche Gebilde zu schaffen, sei es auf Grund vermeintlicher histo- 
rischer Ansprüche längst vergangener Jahrhunderte, wie die angestrebte Wieder- 
herstellung der czechischen Wenzelskrone, sei es auf Grund nationaler Präten- 
sionen, wie die Schöpfung eines slovenischen Zukunftsreiches, oder sei es durch 
Bildung sonstiger föderalistischer Ländergruppen. 4. Die verfassungsmäßig 
gewährleistete Autonomie der Königreiche uud Länder soll nicht nur ungeschmä- 
lert erhalten, sondern, soweit es die Interessen des Reiches gestatten, im Sinne 
einer vernünftigen Decentralisation erweitert werden. Bezüglich der autonomen 
Bestrebungen Galiziens wäre ich dafür, dem Lande Galizien wegen seiner 
geographischen, nationalen und culturhistorischen besonderen Stellung jene Zuge- 
ständnisse zu machen, die ich in einem besonderen Gesetzentwurfe aus Anlaß 
der galizischen Landtagsresolution vom 24. Sept. 1868 im Abgeordneten- 
hause, rücksichtlich im Ausschusse beantragte, jedoch nur unter der Bedingung, 
daß ein neugewählter galizischer Landtag diese Zugeständnisse beansprucht, sich 
mit deren Gewährung für befriedigt erkennt und dieselben als ein Funda- 
mentalgesetz des Landes betrachtet. Aus Anlaß der in einigen Ländern beste- 
henden Klagen über Ungerechtigkeiten in Eintheilung der Wahlbezirke wäre 
eine Revision der Landtagswahlordnung vorzunehmen. 5. Zur Befriedigung 
der verschiedenen Nationalitäten ist die Erlassung eines. freisinnigen Nationa- 
litäten-Gesetzes unerläßlich, durch welches jeder Nationalität die volle Freiheit 
der Entwicklung ihrer Sprache und nationalen Cultur gewährleistet und jede 
Nationalität vor Vergewaltigung und Entnationalisirung gesichert, dabei aber 
den Deutschen jene hervorragende Stellung gewährt werde, die ihnen nach 
Geschichte, Zahl, Bildung und Vermögen gebührt. 6. Die den Staatsbürgern 
in den Staatsgrundgesetzen und deren Ausführungsgesetzen verfassungsmäßig 
gewährleisteten freiheitlichen Rechte sollen nicht nur nicht geschmälert, sondern 
voll und wahr in allen ihren Consequenzen praktisch durchgeführt und im Wege 
stetigen vernünftigen Forischreitens erweitert werden, daher Erlassung eines 
neuen Strafgesetzes und Strafprozesses mit Geschwornen 2c. 7. In Bezug 
auf das Verhältniß des Staates zur Kirche erachte ich die Herstellung der 
vollen Souveränetät des Staates auch gegenüber der Kirche, insoweit dieselbe 
in bürgerliche Sphären eingreift, zumal nun im Hinblick auf Rom unerläß- 
lich, daher die Erlassung eines Religionsgesetzes nothwendig, wodurch dieses 
Verhältniß nach dem Grundsatze: „freie Kirche im freien Staate“" und der 
Gleichberechtigung der Confessionen geregelt, die bisher erlassenen confessionellen 
Gesetze in ihrem Geiste und Sinne gehandhabt, die kirchlichen Conflicte in 
Ehesachen durch Einführung der obligatorischen Civilehe nach dem dem Ab- 
geordnetenhause bereits vorgelegten Gesetzentwurfe für immer beseitigt, das 
Patent vom 5. November 1855, enthaltend das Concordat, gänzlich außer 
Kraft gesetzt und die dort berührten Angelegenheiten, soweit sie staatliche 
Gesetzgebungs-Gegenstände sind, im verfassungsmäßigen Wege geregelt werden. 
8. Zur Herstellung des Gleichgewichtes im Staatshaushalte ist die Herab- 
minderung des Heeresaufwands unerläßlich, was jedoch in ausgiebigem Maße 
nur durch Anbahnung des Milizsystems erzielt werden dürfte, dessen Einführung 
jetzt bei unsern unfertigen innern Zuständen und der mangelnden Vorbildung 
des Volkes allerdings noch nicht möglich ist, aber durch zweckmäßige Umge- 
staltung des Landwehr-Instituts herbeigeführt werden könnte. 9. In Bezug
	        
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