Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

346 
Trankreich. 
dieselbe Nothwendigkeit auf, und wenn die Kammer dem Souverän und dem 
Cabinet ihren ehrlichen Beistand leiht, ohne Neue, ohne Reaction, ohne Rück- 
bale warum sollten wir ihn dann von uns weisen! Warum sollten wir dem 
ande neue Aufregungen bereiten, die nie ohne Gefahr sind, und die in die- 
sem Fall ohne Grund wären. Wir haben Gesetze über die Wahlen, über die 
städtische Verfassung, über die Presse, Über die allgemeine Sicherheit, über die 
Decentralisation auszuarbeiten oder zu revidiren, eine Enquête über die wirth- 
schaftlichen Fragen auszuführen, ein Budget zu. votiren, und wir sollten noch 
ehe unser Tagewerk begonnen, uns schon um den folgenden Tag kümmern? 
Man wirft uns auch vor, daß wir nicht vorwärts kämen; aber man vergißt, 
daß das Cabinet, welches seit 6 Wochen zwischen den Aufregungen der Tri- 
büne und jenen der Straße lebt, den Morgen den Geschäften, den Tag den 
Neden und die Nacht den Emeuten geben muß. (Sehr gut!) Gestatten Sie 
mir, mit zwei Bitten, oder, wenn Sie wollen, mit zwei Rathschlägen zu schlie- 
ßen. Vor Allem, verlangen Sie nicht von der Regierung, daß sie die Welt 
durch Aufsehen erregende Thaten in Erstaunen setze. Die Zeitungen, sagt 
man, brauchen eine Idce per Tag. (Heiterkeit.) Die Völker, welche arbeiten, 
kennen dieses Bedürfniß nicht. Die politische Bühne ist kein Schauplatz für 
Effectstücke und Ueberraschungen. Die freien Völker wollen befragt, aber nicht 
überrascht sein. (Sehr gut!) Und zweitens lassen wir die Vergangenheit und 
ihre Händel in Frieden ruhen; und denken wir an die Zukunft. Drängen 
Sie uns, das ist Ihr Recht; aber geben Sie uns die Mittel zu handeln; 
wir fühlen die Nothwendigkeit der That stärker als irgendwer. Und nun 
steht es bei Ihnen, meine Herren, sich über die Politik des Cabinets zu er- 
klären. (Langer und stürmischer Beifall.) J. Favre replicirt dem Minister 
in einer mit Complimenten reich ausgestatteten Rede, Die Thatsache, sagt er, 
daß die ganze Wendung nur einem Senatusconsult zu danken sei, bleibt für 
die Freunde der Freiheit eine äußerst demüthigende; ein Senatusconsult kann 
nehmen, was ein Senatusconsult gegeben hat. Darum bleibe die Situation 
der Kammer eine falsche und unsichere. Die Regierung der Nation durch die 
Nation wird erst dann eine vollständige sein, wenn die Vertreter des Landes 
alle Rechte wieder erlangt haben werden, welche aus der Volkssouveränetät 
herzuleiten sind, erst dann, wenn den Ministern Abgeordnete gegenüberstehen 
werden, welche nicht bloß aus Nachgiebigkeit und Dank einer Vermittlung, 
sondern aus: Leidenschaft für die Freiheit an jenem Werke mitwirken werden, 
bei dessen Ausführung ich dann die Minister mit allem meinem Beifall be- 
grüßen und nöthigenfalls mit meinem Beistand unterstützen werde. 
Die Debatte wird damit geschlossen und mit 232 gegen 18 Stimmen be- 
schlossen: „Angesichts der so deutlichen und der so loyalen Erklärungen des 
Ministeriums, welche die Ordnung und die Freiheit in Frankreich sichern, geht 
die Kammer vertrauensvoll zur Tagesordnung über.". 
23. Febr. Der neue Seinepräfect, Hr. Chevreau, trägt beim Municipalrath 
1 
von Paris auf ein Anlehen von 250 Mill. behufs Fortsetzung der 
Bauten an, was einstimmig genehmigt wird. 
—24. „Geetzgeb. Körper: Debatte über eine Interpellation betr. 
die offiziellen Candidaturen. Das Ministerium sucht erst auszu- 
weichen, wird jedoch schließlich genöthigt, sich bestimmf auszusprechen 
und zwar gegen das bisherige System. Bruch mit der Rechten 
(der alten Majorität). , « 
23.Febr.,:.C.hev.andierdeBaldrömc,MinisterdeannetmOhne Zweifel 
schließt die Gründung einer parlamentarischen Regierung das Aufgeben dessen in 
sich, was man das System der offiziellen Candidaturen nennt; allein, indem die 
Regierung diese Erklärung abgibt, ist sie durchaus nicht gewillt, auf das
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.