Trankreich. 347
Recht zu verzichten, das jeder Regierung zukommt, ihre Freunde vor den
Wählern zu bezeichnen. (Sehr gut! Lebhafter Beifall auf einer Anzahl von
Bänken. Stürmischer Widerspruch links.) O klivier wiederholt zunächst die
Erklärung des Ministers des Innern, sucht sie theoretisch zu begründen und
fährt dann sort: „Das Recht, welches ich theoretisch entwickelt habe, ist unan-
fechtbar, allein nicht minder unbestreitbar ist es, daß e5 das Bestreben eines
liberalen Ministeriums sein muß, es nie anzuwenden. Es muß durch seine
Sprache, durch seine Acte das Land so stimmen und beleben, daß es den Wäh-
lern allein die Sorge für die Vertheidigung der Regierung überlassen kann.
Was uns betrifft, so sagen wir unsern Freunden im Lande und in der Kam-
mer: Verlaßt cuch nicht auf uns und unsere Vormundschaft. Vertheidigt
euch selbst und vertheidigt uns, wenn wir euer Vertrauen besitzen. Glauben
Sie nicht, daß sich hinter unserer Sprache ein persönliches Interesse versteckt
und der Gedanke, die Gewalt in den Händen zu behalten. Wer kann sagen,
ob wir noch Minister sein werden, wenn die nächsten allgemeinen Wahlen
stattfinden, allein wir fordern zum Voraus das Land dazu auf, sich auf die
mannhaste That vorzubereiten, weil wir durch Erfahrung wissen, daß die
starke, dauerhafte und geachtete Regierung nicht die ist, welche nur die Ver-
theidiger hat, welche sie unterstützt, sondern die, welche durch ihre Freunde
ermuthigt, unterstützt und getragen wird.“
24. Febr.: Granier de Cassagnac: Ueberzeugt, daß der Hr. Minister
des Innern gestern den Gedanken der Regierung ausgesprochen hat, verzichte
ich auf das Wort. (Bewegung.) Justizminister Ollivier: Es darf keine
Zweideutigkeit obwalten; wollte Hr. v. Cassagnac mit seinen Worten etwa
einen Unterschied zwischen den Erklärungen des Ministers des Innern und den
meinigen machen? Granier de Cassagnac: Darauf antworte ich: ich mache
keinen Unterschied zwischen den Erklärungen der beiden Minister, wenn der
Hr. Justizminister nicht selbst zwischen seinen Erklärungen und denen des Hru.
Ministers des Innern unterscheidet. Ollivier: Ich entgegne wiederum: ich
unterscheide nicht zwischen den Erklärungen des Ministers des Innern und
den meinigen, ich gebe beiden dieselbe Bedeutung, und zwar diese: die Mit-
glieder der Regierung bleiben den Ansichten treu, welche sie in der Wahlfrage
beständig gcäußert haben, und sie werden, wie ich schon gestern erklärt habe,
bei den Wahlen, welche unter ihrer Verwaltung stattfinden werden, das System
der osfsiziellen Candidaturen nicht üben und eine vollständige Neutralität be-
obachten. (Anhaltender Beifall links und im linken Centrum. Sensation).
Martel verlangt, daß nach diesen so unumwundenen Erklärungen des Cabi-
nets sofort zur einfachen Tagesordnung übergegangen werde. (Nochmals Zu-
stimmung von Seiten der Opposition.) Diese merkwürdige Wendung bestimmt
Granier de Cassagnac, obgleich leidend und sichtlich angegriffen, die Tri-
brüne zu besteigen, und der Regierung in einer bewegten Rede seine Freund-
schaft und die Freundschaft der Rechten zu kündigen. Die Einmischung der
Regierung in die Wahlen sei im Princip stets berechtigt und in der Praxis
oft eine Nothwendigkeit und eine Pflicht. Es sei dies namentlich der Fall in
einem Lande, dessen verfassungsmäßige und dynastische Grundlagen durch häu-
sige Stürme erschüttert wurden, und noch beständig in Frage gestellt sind.
Die Negierung, als Vevollmächtigte der Mehrheit des Landes, dürfe da nicht
neutral bleiben; die Neutralität wäre für sie der Abdankung, für ihre An-
hänger dem Abfalle gleich. Dazu komme noch, daß bei der zerstreuten Lage
der französischen Gemeinden eine Verständigung zwischen den Wählern ohne
einen höhern Vermittler oft unmöglich sei. Er könne die Doctrin zulassen,
welche der Minister des Innern gestern ausführte, und der zufolge die Regie-
rung, wenn sie auch das System der offiziellen Candidaturen aufgebe, doch
nicht auf das Recht verzichte, den Wählern ihre Freunde und Gegner zu
bezeichnen. Damit waren wir alle einverstanden. (Zustimmung aus den
Reihen der Rechten.) Wenn dagegen der Hr. Justizminister das Recht der