Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

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Trankreich. 
mit dem Nationalgefühl eines stolzen Volkes zu thun gehabt hätten. Konnten 
wir in unseren Forderungen etwa bescheidener sein? Oder tadeln Sie es, daß 
wir gebrochen haben nach dem in der Person unseres Botschafters empfangenen 
Schimpf? Möge jetzt die Kammer entscheiden! Wenn wir zu empfindlich ge- 
wesen sind (Glais-Bizoin: Das ist das rechte Wort!), so hätten Sie unsere 
Erklärungen nicht mit Ihrem Beifall ausgenommen. (Ja wohl, ja wohl!) Ich 
ergehe mich in Ausführungen, welche, ich weiß es wohl, für die Mehrheit dieses 
Hauses überflüssig sind; aber es war nothwendig, vor dem Lande die Gerech- 
tigkeit und die Stärke unserer Sache darzulegen. (Anhaltender kriegerischer 
Beifall.) Thiers erhält nach manchen Schwierigkeiten zu einer Replik das 
Wort. Er bedauert, wiederholen zu müssen, daß der Krieg durch einen von 
dem Cabinet begangenen Fehler herbeigeführt worden ist. Gewiß, sagt er, 
Preußen hat mit Zulassung der spanischen Throncandidatur einen ungeheuren 
Fehler gemacht; aber mit der Zurückziehung dieser Candidatur haben wir hin- 
reichende Genugthuung erhalten. Man sagt jetzt, die Candidatur sei nicht für 
die Zukunft beseitigt worden. Aber ich appellire an den gesunden Menschen- 
verstand; in wenigen Tagen werden Sie hören, was ganz Europa, was nicht 
bloß die preußische und französische Presse, welche in der Sache parteiisch sind, 
sondern was z. B. die engl. Presse zu Ihrer Politik sagen wird. Jetzt behaupten 
zu wollen, daß Preußen die Candidatur des Prinzen von Hohenzollern jemals 
wieder aufnehmen werde, heißt Preußen einen Unsinn zutrauen. Herzog von 
Gramont (der inzwischen erschienen): Warum hat es sich dann geweigert, 
das zu erklären: Arago: Weil Sie es provocirt haben. (Anhaltende Unter- 
brechung rechts.) Jerome David wirft Thiers vor, daß er Frankreich mehr 
weh thue, als viele preußische Bataillone, eine Aeußerung, die er auf den stür- 
mischen Protest der Rechten zurücknehmen muß. Thiers fährt fort: Nicht 
ich habe Frankreich wehe gethan, sondern diejenigen, welche meine Warnungen 
nicht hören wollten, als ich von Sadowa und von Mexiko sprach. Ich wieder- 
hole: Sie wären in Ihrem Rechte, wenn man die Zurückziehung der Candi- 
datur Hohenzollern verweigert hätte; aber noch vor drei Tagen erklärte alle 
Welt, daß man sich mit dieser Zurückziehung zufrieden geben könne. Wenn 
man dann noch weiter Händel suchte, so mußte offenbar der Krieg daraus 
entstehen. Wie? der König von Preußen gestattet und billigt die Zurückziehung 
dieser Candidatur, und das wäre kein Zugeständniß? Ich erkläre also noch 
einmal: Es ist kläglich, daß, nachdem das Interesse Frankreichs gewahrt war, 
man durch Aufreizungen den Krieg unvermeidlich machte und Etikettefragen 
aufwarf, die den Stolz der beiden Nationen ins Spiel ziehen mußten. Aber 
auch nachdem dieser Fehler begangen worden war, hätte man wenigstens Eu- 
ropa Zeit lassen sollen, vermittelnd einzutreten, und nicht von dieser Tribüne 
den Krieg erzwingen sollen. Noch einmal: nicht für die Interessen Frankreichs, 
sondern in Folge der Fehler des Cabinets haben wir den Krieg. (Sehr gut! 
links; entschiedener Widerspruch auf den übrigen Bänken.) Herzog v. Gra- 
mont entgegnet: Wenn wir länger gewartet hätten, daß die fremden Mächte 
sich einmischen, so hätten wir damit nur Preußen Zeit gelassen, seine Rüstun- 
gen zu vervollständigen und uns mit mehr Vortheil anzugreifen. Thatsache 
bleibt, daß Preußen, indem es den Cabinetten anzeigte, der König habe sich 
geweigert, unseren Botschafter zu empfangen, dem Kaiser und Frankreich einen 
Schimpf angethan hat. Wenn sich jemals in meinem Vaterlande eine Kammer 
fände, welche dies ertrüge, so würde ich nicht fünf Minuten länger Minister 
des Aeußern bleiben. (Bravol Bravol) Jules Favre führt im Sinne 
Thiers' nochmal aus, daß die Ehre Frankreichs nicht im Spiele sei, daß kein 
rechtmäßiger Grund zum Kriege vorliege und daß die Regierung allein für 
die kommenden Ereignisse verantwortlich sei. Kératry dagegen ist der Mei- 
nung, daß Frankreich mit der indirccten Zurückziehung der Candidatur nicht 
hinreichende Genugthuung erhalten hätte, und daß der Krieg ein gerechter sei. 
Ein formeller Antrag Jules Favre's auf Vorlegung von Depeschen wird 
mit 159 gegen 84 Stimmen verworfen.
	        
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