Trankreich. 369
Abendsitzung: Die sämmtlichen Forderungen der Regierung für
den Krieg werden ihr schließlich fast einstimmig bewilligt:
Talhouäöt beantragt als Berichterstatter die Annahme der vier Regie-
rungsvorlagen. Gambetta fragt auf's Neue: 1) Ist die Note des Herrn
v. Bismarck, aus welcher der Bruch hergeleitet wird, an alle fremden oder
nur an die süddeutschen Staaten mitgetheilt worden: 2) Ist ihr Wortlaut
der Art, daß der Krieg nothwendig ist Namentlich dieser Text scheint dem
Redner für die ganze große Frage entscheidend, und das Document mühsse da-
her nicht bloß der Commission, wie dies geschehen sein soll, sondern auch der
Kammer und dem Land mitgetheilt werden. Justizminister Ollivier wun-
dert sich darüber, daß es so schwer sei, einer gewissen Partei in einer Ver-
sammlung einen Ehrenpunkt klar zu machen. (Stürmischer Widerspruch links,
worauf der Minister wiederum seine Aeußerung abzuschwächen sucht.) Die
Beleidigung sei offenkundig und der Wortlaut des preußischen Documents da-
her unerheblich. Wir versichern die beleidigende Thatsache auf unsere Ehre;
das muß genügen. Der Worte sind nun genug gewechselt; es ist Zeit, zu
handeln. Vergebens suchen Grévy und Picard die Debatte fortzusetzen und
aktenmäßige Aufschlüsse zu verlangen; sie werden von der Rechten überschrien,
und man schreitet zur Abstimmung. Der erste Gesetzentwurf (Credit von
50 Mill.) wird mit 245 gegen die 10 Stimmen von Arago, Desseaux,
Esquiros, Jules Favre, Gagneur, Garnier-Pageès, Glais-
Bizoin, Grévy, Ordinaire und Pelletan, die drei anderen Gesetz-
entwürfe werden mit allen Stimmen gegen die Glais-Bizoin's angenom-
men, während die 9 anderen sich der Abstimmung enthalten. Ferner enthalten
sich der Abstimmung überhaupt Cremieux, Girault und Naspail. Da-
gegen stimmen für die Bewilligung nicht nur Thiers, sondern auch von der
Linken Gambetta, Ferry, Jules Simon, sowie Picard mit seinem
speziellen Anhang.
Am Abend sst Paris der Schauplatz einer ganzen Reihe kriegerischer De-
monstrationen: während diejenigen vom Tage vorher noch einen etwas ver-
dächtigen Charakter trugen, scheint nunmehr der Nausch die hauptstädtische
Bevölkerung im Großen und Ganzen ergriffen zu haben. Die officiöse Presse
schürt das Feuer: der „Constitutionel“ veröffentlicht eine Extraausgabe mit
einem Leitartikel „der Krieg“", der dahin schließt: „Preußen beschimpft uns;
gehen wir also über den Rhein! die Soldaten von Jena sind bereit!"“
16. Juli. Der Senat begibt sich in corpore nach St. Cloud und wird
vom Kaiser, der Kaiserin und dem kaiserl. Prinzen empfangen, um
ihnen seine Ergebenheit auszudrücken. Ansprache des Präsidenten
Rouher:
u. Die Würde Frankreichs ist mißachtet. Ew. Maj. zieht das Schwert.
Das Vaterland ist mit Ihnen, bebend vor Unwillen und Stolz. Die
Uebergriffe eines durch einen Tag großen Glückes überreizten Ehrgeizes
mußten früher oder später erfolgen. Hastiger Ungeduld wider-
stehend, beseelt von jener stillen Beharrlichkeit, in welcher die wahre
Kraft liegt, hat der Kaiser zu warten gewußt; aber seit vier Jahren
hat er die Ausrüstung unserer Soldaten zur höchsten Vollkommenheit
gebracht und die Organisation unserer Militärkraft zu ihrer ganzen Macht
erhoben. Dank Ihrer Fürsorge steht Frankreich fertig da, Sire, und
durch seine Begeisterung beweist es, daß es, wie Sie, entschlof-
sen war, kein vermessenes Unternehmen zu dulden.
„ Der Keiser ist entschlossen, den Oberbefehl über die gesammten
Streitkräfte gegen „Preußen“ selber zu übernehmen. Der Kriegs-
minister Marschall Leboeuf wird zum Chef seines Generalstabs (also
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