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Ueberreste der Mac Mahon'schen Armee, die zu zweien, zu dreien,
in Compagnien und Bataillonen der Gefangenschaft entgangen, daher
bis zum Tode erschöpft in Paris ankommen.
6. Sept. Circular-Depesche Jules Favre's an die Vertreter Frankreichs
im Auslande:
„Mein Herr! Die Ereignisse, die sich soeben in Paris vollzogen, erklären
sich durch die unerbittliche Logik der Thatsachen so gut, daß es unnöthig ist,
sich lange mit ihrem Sinne und ihrer Tragweite zu befassen. Einem zu lange
zurückgehaltenen unwiderstehlichen Aufschwunge nachgebend, ist die Bevölkerung
von Paris einer höheren Nothwendigkeit, derjenigen ihres eigenen Heils ge-
solgt. Sie hat nicht mit der verbrecherischen Regierungsgewalt zu Grunde
gehen wollen, die Frankreich zu seinem Untergange führte; sie hat nicht die
Absetzung Napoleons III. und seiner Dynastie ausgesprochen, sie hat sie im
Namen des Rechtes, der Gerechtigkeit und des öffentlichen Heiles verzeichnet.
Und dieser Urtheilsspruch ist im Voraus durch das Gewissen so wohl ratifizirt
worden, daß keiner unter den lärmendsten Vertheidigern der gefallenen Regie-
rung sich erhob, um sie zu stützen. Sie ist von selbst eingestürzt unter dem
Gewichte ihrer Fehler, unter dem Jubel eines ungeheuren Volkes, ohne daß
ein Tropfen Blutes vergossen, ohne daß irgend Jemand seiner Freiheit be-
raubt worden wäre. Und man konnte — eine unerhörte Thatsache in der
Geschichte — sehen, wie die Bürger, welchen der Ruf des Volkes das gefahr-
volle Mandat, zu kämpfen und zu siegen, verlieh, auch nicht einen Augenblick
an die Gegner dachten, die sie Tags zuvor mit militärischen Executionen be-
droht hatten. Dadurch, daß sie ihnen die Ehre irgend welcher Abwehr ver-
weigerten, haben sie ihre Verblendung und ihre Ohnmacht constatirt. Wir
haben selbst um den Preis unserer Popularität die Politik des Frie-
dens vertheidigt, wir werden mit einer immer tieferen Ueberzeugung dabei
verharren.. Zu Allem bereit, fassen wir mit Ruhe die Sachlage ins Auge,
die uns bereitet ist. Diese Sachlage, ich präcisire sie in einigen Worten, ich
unterbreite sie dem Urtheile meines Landes und Europa's. Wir haben laut
den Krieg verdammt, und indem wir unsere Achtung vor dem Rechte anderer
Völker betheuerten, haben wir verlangt, daß man Deutschland Herr seiner
Geschicke sein lasse. Die kaiserliche Regierung, die seit langer Zeit ihre Inter-
essen von denen des Landes getrennt hatte, wies diese Politik zurück. Wir
nehmen sie mit der Hoffnung wieder auf, daß Frankreich, durch die Erfahrung
belehrt, die Weisheit haben werde, sie auszuüben. Seinerseits hat der König
von Preußen erklärt, daß er nicht gegen Frankreich, sondern gegen die kaiser-
liche Dynastie Krieg führe. Die Dynastie ist gefallen, das freie Frankreich
erhebt sich. Will der König von Preußen einen gottlosen Kampf fortsetzen,
der für ihn mindestens ebenso verhängnißvoll sein wird, wie für uns? Will er
der Welt des 19. Jahrh. das grausame Schauspiel zweier Nationen geben, die
sich gegenseitig vernichten und welche, der Humanität, der Vernunft, der Wis-
senschaft vergessend, Trümmer und Leichen aufhäufen? Es steht ihm frei,
diese Verantwortlichkeit vor der Welt und der Geschichte auf sich zu nehmen.
Wenn dies eine Herausforderung ist, so nehmen wir sie an. Wir werden
nicht einen Zollbreit unseres Nationalgebietes, nicht einen Stein
von unseren Festungen abgeben. Ein schimpflicher Friede wäre ein Aus-
rottungskrieg in kurzer Frist. Wir werden nur wegen eines dauerhaften Frie-
dens verhandeln. Da ist unser Interesse dasjenige des gesammten Europa's,
und wir haben Grund, zu hoffen, daß, befreit von jeder dynastischen Sorge,
die Frage in den Cabinetten in dieser Weise sich stellen werde. Selbst aber,
wenn wir allein bleiben sollten, werden wir nicht ermatten. Wir haben eine
entschlossene Armee, wohlversehene Forts, einen wohleingerichteten Befestigungs-
gürtel, hauptsächlich aber eine Brustwehr von 300,000 Kriegern, die entschlos-