Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

Trankreich. 385 
wußte, ohne zurückzuhalten, und der Vertrag vom 15. September hat natür- 
lich zu bestehen aufgehört. Wir müssen Ew. Maj. Dank sagen, daß Sie den 
Gedanken zu fassen und zu würdigen wußten, welcher uns abgerathen hat, 
einen schon durch beide Parteien außer Wirksamkeit gesetzten Vertrag officiell 
anzuzeigen. Ew. Maj. , so frei geblieben in Ihren Handlungen, wußten von 
dieser Freiheit mit einer wunderbaren Klugheit Nutzen zu ziehen. Es war 
für den König von Italien, welcher über alle Kräfte einer großen Nation 
verfügt, sehr leicht die alten Mauern Noms zu brechen und den Widerstand 
der schwachen päpstlichen Truppen zu besiegen. Aber wahrhaft schön und groß 
ist es, daß Sie in einer so zarten Frage mit der politischen Nothwendigkeit 
alle den religiösen Gefühlen schuldige Achtung und Rücksicht zu versöhnen 
gewußt haben. In dieser Beziehung hat Ew. Maj. einen Aufruf an die 
Versöhnung in sehr würdigen Ausdrücken erlassen; ich hoffe, daß er gehört 
werden wird. Was mich betrifft, so empfinde ich, trotz der traurigen Um- 
stände, welche mich hieher geführt haben, ein wahres Glück, mich auf einem 
Boden zu befinden, wo, wie in meinem theuren Frankreich, man das Herz 
des Landes so laut schlagen hört, und wo selbst die politischen Berathungen 
immer das Gepräge von so viel Größe und Edelmuth tragen. Gestatten 
Sier mir, Sire, Ihnen den Ausdruck meiner achtungsvollen Gefühle entgegen- 
zubringen."“ 
23. Sept. Die Festung Toul ergibt sich. 
24. 
25. 
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27. 
28. 
29. 
„ Die Delegation der Regierung der nationalen Vertheidigung in 
Tours erläßt folgende Proclamation: 
„An Frankreich! Vor der Einschließung von Paris hat Hr. Jules Favre 
den Grafen Bismarck besuchen wollen, um die Absichten des Feindes kennen 
zu lernen. Folgendes ist die Erklärung des Feindes: Preußen will den Krieg 
fortsetzen und Frankreich auf den Stand einer Macht zweiten Ranges herab- 
setzen. Preußen will Elsaß und Lothringen bis Metz kraft Eroberungsrecht. 
Für die Gewährung eines Waffenstillstandes wagt Preußen die Uebergabe 
von Straßburg, von Toul und vom Mont Valérien zu fordern. Das er- 
bitterte Paris würde sich eher unter seinen Trümmern begraben. Auf so 
unverschämte Ansprüche antwortet man nur durch den Kampf aufs Aeußerste. 
Frankreich nimmt diesen Kampf auf und rechnet auf alle seine Kinder. In 
Anbetracht der obigen Proclamation, welche die Schwere der Verhältnisse 
nachweist, verordnet die Regierung: 1) Alle Wahlen zu den Gemeinderäthen 
und zur constituirenden Versammlung sind eingestellt und aufgeschoben. 
2) Jede Gemeinderathswahl, die etwa vorgenommen werden sollte, ist null 
und nichtig. 3) Die Präfekten werden durch Fortbestand der setzigen oder 
Ernennung einstweiliger Gemeinderäthe Sorge tragen. Die Abgeordneten, 
Mitglieder der Regierung: Crémieux, Glais-Bizoin, Admiral Fourichon.“ 
„ In Nizza wird der Belagerungszustand erklärt, um den Bestre- 
bungen der italienischen Partei einen Niegel vorzuschieben. 
„ Die Provinzen scheinen sich von Paris und der Negierung in 
Paris wie von ihrer Delegation in Tours unabhängig stellen zu 
wollen. In Lyon, Marseille und Toulouse herrschen so ziemlich die 
Nothen. In Rennes constituirt sich eine „Liga des Westens.“ 
„ Straßburg ergibt sich. 
„ In Paris beginnt die beschränkte Fleischvertheilung an die Be- 
völkerung. 
„ Die Delegation von Tours kommt doch wieder auf ihre frühere An- 
sicht zurück und ordnet die Wahlen zur Constituante auf den 16. Oct. an. 
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