Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

Trankreich. 387 
um Cuch zugleich mit den Hoffnungen, von denen das Volk von Paris erfüllt 
ist, die Anweisungen und Befehle derjenigen zu übermitteln, welche sich der 
Aufgabe unterzogen haben, Frankreich von den Fremden zu befreien. Paris, 
welches seit 17 Tagen belagert ist, bietet das Schauspiel dar, wie mehr als 
2,000,000 Mernschen, welche alle Zwistigkeiten vergessen, um sich um die Fahne 
der Republik zu schaaren, die Voraussicht des eindringenden Feindes zu nichte 
machen, welcher auf Zwietracht im Innern rechnete. Die Revolution hatte in 
Paris weder Geschütze noch andere Waffen gefunden. Jetzt sind in der Stadt 
400,000 bewaffnete Nationalgarden, 100,000 Mobilgarden und 60,000 Mann 
reguläre Truppen. In den Werkstätten werden Geschütze gegossen, die Frauen 
fertigen täglich 1 Mill. Patronen an. Jedes Bataillon der Nationalgarde hat 
zwei Mitrailleusen; auch wird sie mit Feldgeschützen versehen, um Ausfälle 
gegen die Belagerer machen zu können. Die Forts sind mit Marinetruppen 
besetzt und mit vortrefflichen Geschützen versehen, welche von den besten Artil- 
leristen der Welt bedient werden. Bis jetzt hat ihr Feuer den Feind verhin- 
dert, auch nur das kleinste Erdwerk aufzurichten. Die Enceinte, welche am 
4. September nur mit 500 Kanonen besetzt war, hat jetzt deren 3800 mit 
ausreichender Munition. Mit dem größten Eifer wird das Feuer fortgesetzt; 
jeder Mann befindet sich an dem für ihn bestimmten Posten. Die Enceinte ist 
fortwährend von der Nationalgarde besetzt, welche vom Morgen bis zum Abend 
das Werk des Krieges verrichtet. Die Festigkeit und Erfahrung dieser impro- 
visirten Soldaten wird von Tag zu Tag größer. Hinter der einen Enceinte 
existirt noch eine andere, von Barrikaden gebildete, deren Bau die Pariser 
zur Vertheidigung der Republik jetzt wieder ausgenommen haben. Alles die- 
ses ist mit Ruhe, Ordnung und Enthusiasmus ins Werk gesetzt worden. Es 
ist keine Jllusion — Paris ist uneinnehmbar! Es kann weder durch Ge- 
walt noch durch Ueberraschung erobert werden. Zwei andere Mittel blieben den 
Preußen: der Aufstand und die Hungersnoth; aber weder zu dem einen, noch 
zu der anderen wird es in Paris kommen, und da die Stadt mit allem Nöthigen 
versehen ist, so ist sie im Stande, dem Feinde lange Monate hindurch Trotz zu 
bieten. Die Lebensmittel sind in Massen angehäuft, und mit männlicher Aus- 
dauer wird die Stadt alle Bedrängnisse ertragen, um ihren Brüdern in 
den Departements Zeit zu geben, ihr zu Hilfe zu kommen. Dies 
ist ohne irgend welche Entstellung die Situation von Paris. Große Pflichten 
werden Euch dadurch auferlegt. Die erste dieser Pflichten ist, daß Ihr keinen 
andern Gedanken habt als den Krieg. Die zweite besteht darin, daß Ihr in 
brüderlichem Entgegenkommen Euch den Befehlen der republikanischen Regie- 
rung fügt, welche durch das Recht der Nothwendigkeit geschaffen ist und keinen 
andern Ehrgeiz, keine andere Leidenschaft hat, als Frankreich dem Abgrunde 
zu entreißen, an welchen es die Monarchie geführt hat; sobald das geschehen 
ist, wird die Republik fest begründet und geschützt sein gegen alle Verschwörer 
und Reactionäre. Ich habe mein Mandat übernommen, ohne mich an die 
Schwierigkeit oder den Widerstand, der meinen Bemühungen entgegengesetzt 
werden könnte, zu kehren, und obwohl es kaum möglich sein dürfte, durch 
Thätigkeit das zu ersetzen, was durch den Mangel an Zeit erschwert wird. 
An Mannschaften fehlt es nicht. Was gefehlt hat, ist ein entschiedener Ent- 
schluß und Consequenz in der Ausführung des Planes. Der gesammte Vor- 
rath von Wassen und Proviant jeder Art war nach Sedan, Metz und Straß- 
burg geschickt worden. Man könnte sagen, die Urheber unserer Unglücksfälle 
hätten beabsichtigt, uns bei ihrem Falle alle Mittel zu entziehen, um unser Un- 
glück wieder gut zu machen. Nunmehr abgeschlossene Lieferungsverträge werden 
zum Erfolge haben, alle in der ganzen Welt disponiblen Gewehre 
uns zu sichern. Für die Anschaffung von Kleidungsstücken fehlt es weder an 
Arbeitskräften, noch an Geld. Wir müssen alle unsere Hilfskräfte, und diese sind 
unermeßlich, anspannen. Wir müssen die Erstarrung der Landbevölkerung ver- 
schwinden machen, wir müssen auftreten gegen die tolle Furcht, wir müssen den 
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