496 Mebersicht der Ereignisse des Fahres 1870.
von Allem, was auf ihm lastete, schien durch die Kirche vollzogen, der
Jubel war allgemein, selbst Mazzini ward von ihm fortgerissen. und der
Liberalismus des Auslandes stimmte ein in den Ruf Thiers“: Courage,
courage, Saint Pere! Nur ganz wenig Menschen widerstanden der Täu-
schung, unter ihnen der alte Dichter G. B. Niccolini, der keinen Augen-
blick in der Ueberzeugung wankend wurde, daß diesem Rausche ein. schreck-
liches Erwachen folgen werde.
Die Stellung des Papstes an der Spitze der nationalen Bewegung
war durchführbar, wenn er Nichts war als der Seelenhirte, dessen rein
geistliche Autorität jedes Angriffs durch weltliche Waffen spottete, sie war
unmöglich auf die Dauer, wenn der Papst gefesselt blieb an den Besitz
eines Landes, das in Krieg und Frieden tausend Conflicte mit der welt-
lichen Politik heraufbeschwor: der Kirchenstaat, die Unmäglichkeit einer
politischen Reform durch die geistliche Verwaltung, die Unmöglichkeit, ihn
zu behaupten gegen Revolution von Innen und Invasion von Außen —
das ist die Klippe gewesen, an der das Schifflein des national- liberalen
Papstthums scheitern mußte, auch wenn in der Person seines Inhabers
der Italiener stärker gewesen wäre, als der Priester.
Der Unabhängigkeitskrieg von 1848 brachte dies Verhältniß zum
klarsten Ausdruck. Der Papst konnte ihm seinen Segen geben, wie er
das im Anfang wirklich gethan, ja er konnte ihn bis an's Ende mit
seiner geistlichen Autorität unterstützen, und kein Umschlag der weltlichen
Politik würde dem Oberhaupt aller Gläubigen auch nur einen Fußbreit
der Herrschaft geraubt haben, die er durch das Heer seiner Priester über
die Gewissen übte — wenn er nicht bangen mußte um einen Besitz an
Land und Leuten, an Herrscherrechten weltlicher Art, der durch den Sieg
der Revolution nicht minder als durch den der Reaction gefährdet war.
Um den Kirchenstaat weder durch Mazzini noch durch Habsburg zu ver-
lieren, mußte er sich lossagen von dem Krieg, wie er das gethan hat
durch die Friedensallocution vom 29. April 1848 und als er, durch die
römische Republik von seinem Stuhl vertrieben, in Gaöta ein Abkommen
geschlossen mit dem siegreichen Absolutismus, da konnte er nur als der
zurückkehren, den die Welt von da ab mit steigender Klarheit in ihm er-
kennen sollte, als der Priester, der die Verirrungen des Italieners über
Bord geworfen und den feuergefährlichen Ideen, die auch ihn einst in
jungen Tagen berauscht, jetzt mit dem Fanatismus des Abtrünnigen den
Krieg macht.