Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

Das vatiranische Concil. 497 
Ein merkwürdiger Zug von Mystik macht sich sogleich in der 
ersten öffentlichen Handlung des Bekehrten geltend. Noch in der Ver- 
bannung schrieb er die Encyclica vom 2. Februar 1849, worin es hieß, 
„daß ihm von Kindesbeinen an Nichts mehr am Herzen gelegen habe, als 
die allerseligste Jungfrau Maria mit ganz besonderer Frömmigkeit und 
Andacht und herzinnigster Liebe zu verehren und Alles zu vollbringen, 
was zur größeren Ehre dieser Jungfrau, zur Beförderung ihres Nuhmes 
und Dienstes gereichen könne“. 
Der Förderung des Cultus der heiligen Jungfrau, deren besonderer 
Fürbitte er als junger Priester eine wunderbare Rettung aus Todesgefahr 
zuschrieb, deren persönlicher Gnade er nachher die glückliche Rückkehr aus 
dem Exil zu danken glaubte, ist fortan all sein Dichten und Trachten 
zugewendet, aus dem felsenfesten Glauben an die Allmacht ihrer Gunst 
schöpft er die Zuversicht des Sieges im Kampfe wider alle Gegner der 
Kirche, und nicht minder den unbeirrbaren Glauben an seinc eigene Un- 
fehlbarkeit. Die Verkündung des neuen Dogma's von der unbefleckten 
Empfängniß Mariä am 8. Dec. 1854 bewies diesen Zusammenhang 
so schlagend als möglich, und die Art, wie sie geschah, rein aus persön- 
licher Machtvollkommenheit, ohne eine auch nur scheinbare Befragung der 
Gesammtheit der Bischöfe — ein Vorgang ohne Beispiel in der Kirchen- 
geschichte — war schon ein Staatsstreich des päpstlichen Absolutismus, der 
das Recht auf Unfehlbarkeit noch nicht theoretisch definirte, wohl aber that- 
sächlich im vollsten Umfang in Anspruch nahm. 
Gleichzeitig hatte der Kampf gegen den weltlichen Staat begonnen, 
zunächst durch Bullen, wie die vom 29. Sept. 1850 und 4. März 1853, 
welche in England und Holland die Hierarchie wiederherstellten und eine 
ungeheure Aufregung in die beiden Länder warfen, dann durch Concordate 
und Conventionen, die, von dem österreichischen ausgehend (18. August 
1855), ganz Süddeutschland zu überspinnen auf dem besten Wege waren, 
als der Krieg von 1859 das Gewebe zerriß und in Jtalien selbst eine 
Macht begründete, für die die Vernichtung des Kirchenstaats in früherer oder 
späterer Zeit eine Frage der eigenen Existenz war. Gegen den unmittel- 
baren Angriff des Königreichs Italien, dem eine mächtige Bewegung unter 
der Bevölkerung des Kirchenstaats selbst die Wege ebnet, hat die Curie 
keine Waffen, als eine buntscheckige Söldnerarmee, die von Cialdini ge- 
schlagen und zersprengt wird (Sept. 1860), und Proteste und Excommu- 
nicationen, die platt zur Erde fallen; der größte Theil des Kirchenstaats 
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