498 Mebersicht der Ereignisse des Daljres 1870.
wird dem Königreich Italien einverleibt „ und im Patrimonium Petri
selber behauptet sich das geistliche Regiment nur noch durch französische
Bajonnette.
An allen Gliedern zerschlagen, gegen Haß und- Auflehnung im ei-
genen Lande nur durch fremde Waffengewalt nothdürftig genug- geschützt
hatte das Papstthum in der weltlichen Politik seitdem so gut wie voll-
ständig abgedankt; desto höhern Flug nahm aber nunmehr der Plän, durch
Gründung einer geistlichen Weltherrschaft den in Italien zertrüm-
merten Kirchenstaat in einer neuen Form über die gesaminte Christen-
heit auszudehnen. Es ist ein wahres Wort, das Thiers einmal ausge-
sprochen hat: Nur der Kirchenstaat hält noch den Papst im Zaum, ein
Mönch ohne Pflichten gegen den Staat würde sich allmächtig dünken. In
Wahrheit ist der Nausch der geistlichen Herrschaft in riesigem Maße ge-
wachsen, je mehr die Curie die Fesseln ihres weltlichen Besitzes obstreifte,
und wir werden erleben, daß sie eben jetzt, seitdem ihr das Königreich
Italien nichts Irdisches mehr rauben kann, der modernen Welt gefährlicher
geworden ist, als je vorher. Die Sorge um den Kirchenstaat brachte 1848
den Italiener in Pius IX. zu Fall, um den Priesterfürsten zu entbinden.
Der Verlust des Kirchenstaats (1861 — 1870) hat den Rachekrieg des!
geistlichen Fanatismus gegen Alles, was zum Leben des Staats gehört,
der letzten Scheu und der letzten Rücksicht entledigt.
Die Enchclica vom 8. December 1864 mit dem Syllabus hat das
Flammenschwert dieses Rachekriegs offen vor aller Welt entblößt und das?
vaticanische Concil von 1870 hat das ganze ungeheure Rüstzeug der ka-
tholischen Kirche aufgeboten, diesen Krieg in stummem Gehorsam unter-
einem unfehlbaren Herren zu führen gegen die gesammte Geistesarbeit
vieler Jahrhunderte, gegen Nation und Staat, gegen Wissenschaft und-
Freiheit, gegen Alles, was die moderne Menschheit zum Leben braucht und
was sie in einer innerlich abgestorbenen, zu völliger Unfruchtbarkeit ver-
urtheilten Kirche nicht mehr zu finden vermag.
Was die Bischöfe auf der Kirchenversammlung sollten? Niemand
wußte, aber alle Welt ahnte es und die Civiltà cattolica plauderte das
Geheimniß aus, als sie am 3. April 1869 aus der Bulle Unam Sanctam
des Papstes Bonifazius VIII. die Sätze wiederholte: „Die zwei Ge-
walten, die weltliche und die geistliche, sind in der Macht
der Kirche d. h. der des Papstes, welcher jene — die welt-
liche — durch Könige und Andere, aber nach seinem Winke