Das vaticanische Contil. 503
Bischöfen die volle Freiheit der Berathung nicht gegeben sein,
und es werde auch den Bischöfen selbst an der nothwendigen Erkenntniß
und Freimüthigkeit fehlen, um ihre Pflicht auf dem Concil zu erfüllen; und
man stellt in Folge davon sogar die Giltigkeit des Concils und seiner
Veschlüsse selbst in Frage.“ Das hieß auf deutsch: Der Papst beab-
sichtigt nicht die Erklär ung der Unfehlbarkeit, er beabsichtigt
ebensowenig die volle Freiheit der Berathungen zu beeinträch-
tigen. Nun war die Unfehlbarkeit doch gekommen, die Freiheit der Be-
athung geradezu vernichtet. Wenn sie trotzdem ohne einmüthigen Protest
auf dem Concil blieben, so war klar, daß sie entweder noch im Laufe der
Verathung sich unterwerfen, oder bis zur Abstimmung opponiren, dann
aber ganz gewiß dem von. Anfang an fertigen Beschlusse gehorchen würden.
Im März und April hatten mehrere weltliche Negierungen ihre
ernften Bedenken gegen den Lauf des Concils vor den hl. Stuhl gebracht.
In. keinem Falle war davon irgend welcher reale Einfluß auf die letzte
Entscheidung zu erwatten. Aber. selbst ihr moralisches Gewicht mußte an
solcher Haltung der Opposi tion im Concile selbst zu Schanden werden.
Nachdem in den Sitzungen. vom 4. und 13. Mai die Katechismus-
frage zu einer vorläufigen Erledigung gelangt war, begann am 14. d. M.
die große Debatte über die persönliche Unfehlbarkeil des Papstes.
Unter stürmischem Beifall der Italiener und der Spanier entwickelte der
Bischof Pie: von Poitiers eine Schlußfolgerung, die an die besten Einfälle
der scligen Dun lelmänner in ihren Briefen an Ortuinus Gratius erinnert:
i
J“ i
unten gekreuzigt worden. Da tug der Kopf die ganze Last des eigenen
Körpers. So trägt der Papst als der Kopf die gesammte Kirche. Nun
ist, nur der unfehlbar, der trägt, und nicht der, der getragen wird. Ein
Vischof aus Sicilien berief sich auf eine Offenbarung, mit der die Jung-
frau Maria seine Landsleute begnadigt habe. Als Petrus den ersten Christen-
gemeinden auf Sicilien predigte, er sei infallibel, wollte man's ihm nicht
hlauben. Man schickte derohalb eine Petition an die Jungfrau Maria
und fragte an, ob sie Etwas von der Unfehlbarkeit des Apostels gehört
habe. Allerdings, antwortete sie. Ich erinnere mich, daß ich dabei war,
als mein Sohn dem Petrus dies besondere Vorrecht übertrug. Wem das
erstaunlich vorkommen sollte, den erinnert der Verfasser der römischen Briefe
daran, daß auf Sicilien noch heute jedes Jahr ein Fest zu Ehren jenes
„heiligen Briefs“ gefeiert wird, den die Himmelskönigin einmal an die