524 Kebersicht der Ereicitise des Jahres 1870.
Depesche vorgelegt werde. Ollivier antwortet, die Regierung habe keine
eigentlichen Depeschen, sondern nur diplomatische Berichte empfangen, die
zu veröffentlichen ungebräuchlich sei. Die Beleidigung Benedetti's sei dar-
um so schwer, weil der Flügeladjutant des Königs „es an keiner Höf-
lichkeitsform fehlen ließ, so daß der Botschafter von der beleidigen-
den Absicht gar keine Ahnung hatte . Die Linke fordert von
Neuem unter dem lärmenden Unwillen der Mehrheit den Wortlaut der
Depesche. Ollivier: die Beleidigung ist offenkundig, der Wortlaut des
Frcußischen Documents deßhalb unerheblich. Gramont: Die Commission
hat diese Depesche gesehen. Die Linke gibt sich nicht zufrieden. Ollivier
versichert die beleidigende Thatsache bei seiner Ehre. „Das muß genügen."
Am Schlusse seiner Kriegsrede betheuerte er, mit „leichtem Herzen“ nehme
das Ministerium die große Verantwortung auf sich, aber der Leichenbitter-
ton, in dem er sprach, strafte die Versicherung Lügen. Die ganze Sitzung,
in der eine warnende Rede von Thiers durch das Geheul der Mameluken
erstickt ward, machte einen unsagbar würdelosen Eindruck. Niemals in
der Geschichte hat die amtliche Vertretung eines großen Volkes in dem
feierlichen Augenblick der Entscheidung über Krieg und Frieden das Wal-
ten einer verwilderten Leidenschaft unter deutlicheren Zuckungen des bösen
Gewissens hervortreten lassen, als das in Frankreich am 15. Juli geschah.
Welch andres Bild bot dagegen in denselben Stunden die deutsche
Nation. Im tiefsten Frieden war sie aufgeschreckt worden durch die dro-
henden Worte, die der Herzog v. Gramont am 6. Juli in die Welt ge-
schleudert. Mit männlicher Würde hatte sie des Gehetzes der feindlichen
Blätter nicht geachtet, in der Hoffnung, es werde sich in sich selber vertoben,
wie schon so manches Mal in den vier Jahren seit Sadowa, kaltblütig
und besonnen hatte ihre Presse den Streitfall selber geprüft und nach
kurzer Erwägung gefunden: wer um solcher Dinge willen einen Krieg
verlangt, der hat entweder den Verstand verloren, oder er will den Krieg
um jeden Preis. Da kam die Emser Depesche und die ganze Nation
stand auf wie ein Mann. Noch ehe die Presse Zeit gehabt, die jähe
Wendung zu beleuchten, hatte das Gewissen der Nation laut und stürmisch
das Wort ergriffen. Dem von Ems mit schweren Sorgen zurückkehrenden
König sagte der Jubel, der ihn auf allen Stationen seiner Fahrt empfing.
und zwar ganz besonders warm in den Landen Hessen und Hannover, daß
er verstanden worden sei vom deutschen Volke, dessen Ehe er geschirmt, daß
zum ersten Male im Angesichte einer gemeinsamen Gefahr Preußen in