Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

Oesterreich-AUngarn. 543 
licher Halbheit mindestens in Worten zu entsagen. Daß evon Versöhnung 
hier nicht mehr die Nede sein könne, bewies auf's Neue ein häßlicher 
Sanfedistenputsch, der gerade am.8. Decrember, augenscheinlich auf Bestel- 
lung, zu Rom in Scene ging. Nachdem die Kammer das Plebiseit zum 
Gesetz zerhoben, die Unification der römischen Staatsschuld beschlossen und 
sich mit 192 gegen 18 Stimmen für die Verlegung der Hauptstadt nach 
Nom aentschieden, ging sie am 23. December in Vertagung und am letzten 
Tag des Jahres, Nachmittags 4 Uhr, krönte der König das Programm 
seines einstigen Ministers Cavour, er hielt seinen feierlichen Einzug in die 
neue Hauptstadt; wie guf einen Zauberschlag strahlten am Abend die 
Straßen der ewigen Stadt, in einem Meer von Lichterglanz und vom 
Balcon des Quirinals therab grüßte der König das jubelnde Volk. 
Nächst Italien ist die österreichisch-ungarische Monarchie 
von den Entscheidungen des Jahres 1870. am unmittelbarsten betroffen 
worden. Mit einer Ministerkrisis ist das Reich ins Jahr herein= imit 
einer Ministerkrisis ist es hergusgetreten. Dazwischen liegt der seit 1860 
chronische Verfassungsconflict, der aus der Reibung feindseliger Nationali- 
täten immer neue Nahrung erhält und durch den deutschen Krieg auf's 
Acußerste gespannt worden ist. Am Tage, nachdem die Großmacht Oester- 
reich im Frieden zu Knezlac nach einem schimpflichen Feldzug vor #den 
Jusurgenten der Crivoscie buchstäblich die Waffen gestreckt (11. Januar), 
trat der in constitutionellen Staaten unerhörte Fall ein, daß die Minister, 
über die Frage der Wahlreform des Reichstags längst in zwei Feldlager 
zerfallen, in Denkschriften, welche das Amtsblatt am 12. Januar ver- 
öffentlichte, einander gegenseitig des Verfassungsbruchs anklagten. Nachdem 
Hexrenhaus und Reichsrath in ihrer Mehrheit gegen die Sache der Mi- 
nisterminderheit: Taaffe, Potocki, Berger Partei ergriffen, erhielten diese 
vom Kaiser ihre Entlassung, und am 1. Februar constituirte sich das neue 
Ministerium: Hasner, Wagner,) Banhans, Stremayr, Giskra, Herbst, 
Brestel und Plener. Noch vor der Neubildung des Ministeriums hatte 
mit dem Austritt der Tyroler Abgeordneten die Desertion der föderalisti- 
schen. Mitglieder des Reichsraths begonnen. Den clerikalen Tyrolern 
folgten, nachdem der Versuch, für Galizien eine lediglich dem polnischen 
Adel zu Gute kommende Sonderstellung zu ertrotzen, gescheitert war, die 
Polen, Slovenen, Triester, Istrianer und Bukowiner (31. März). Von 
den „Nationalen“ blieben nur gerade noch so viel zurück, daß das Haus, 
nunmehr fast ausschließlich aus Deutschen zusammengesetzt, zur Noth noch
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.