544 Kebersicht der Erignisse des Lahres 1870.
beschlußfähig wär. Die Minister forderten jetzt vom Kaiser entweder Auf-
lösung der Landtaze, deren Mitglieder aus dem Reichstage getreten warcn,
oder ihre Entlassung. Der Kaiser wählte das Letztere und beauftragte den
Grafen Potockl; ein neues Ministerium zu bilden (4 April) wesches
nach fruchtlosen Verhandlungen mit Rechbauer am 42. Aprill##tin##einer
Gestalt zü Stande kain, die Jedermann" sofork als eein-Provisorim auf-
faßte. Getreu dem in der Denkschrift vom 24. December niedergelegten
Programm: begann nun der Graf Potocki niit den Führern der#nationalen
Opposition Unterhandlungen über einen gütlichen Ausgleich auf Grundlage
der Verfassung. Am 30. April kämen Vertrauensmäiner der Czechen zum
Grafen nach Wien, am- 16. Mai kam der Graf zum den Czechen nach
Praß; das Ergebniß waär — der- vollständige Schiffbruch des Ansgleichs,
Schlimmeres als das, eine Verschwörung der #feudalen, nationalen und
clerikalen Opposition in Böhmen gegen das Ministeriüm, dessen Haupt
diese Enttäuschung nachher öffentlich als die schmerzlichste Erfahrung; seines
Lebens bezeichntte“ Nunmehr verfügte am 2 1. Mai ein kaiserliches Patent
die Auflösung säimmtlicher= Landtage; mit Ausnahme des böhmischen, der
übrigens am 29. Juli nächträglich auch #noch-aufgelöst-wärd, und während
im ganzen Umfang der isleithauischen Reichshälfte die- Parteien sich zum
Wahlkampf fertig mechten — mit besonderem Eifer- fdie Dentschen, die sich
einer gemeinsamen Lebensgesahr gegenübersahen —) brachten dieselbeln Juli-
tage den deutsch- französischen Kriez und die unfehlbarkeitserklärung des
Papstes Für den Gräfen Beust kani das Eine so- wenig überrascheid,
als bas Anderé. In mancher Note hatte er die Curie fürsotglich. gewarnt,
inne zu halten auf dem abschüssigen Wege; der 18. Juli war“ dennoch
hekommen, und nun that die kaiserliche Regierung, was sie längst gedroht,
ein Handschrelben des Kaisers vom 30. Juli erklärte das Concordat vom
16. August 1855 erloschen. Ueber den Sinn der Erklärung Gramont's
bom 6. Juli war Graf Beust von Anfang an im Klaren, nicht minder
darüber, daß Preußen nachgeben, die Candidatur des Prinzen Leopold des-
avouiren müsse — das waren seine Aeußerungen gegen Lord Bloomfield
am 9. und 11. Juli —, und als der Prinz zurückgetreten war, zeigte er sich
so vortrefflich unterrichtet, daß er am 13. demselben Diplomaten sagte,
das werde nicht hinreichen, um die Forderungen Frankreichs zufrieden zu
stellen. Daß da kein Wort der Mißbilligung über den Inhalt der himmel-
schreienden Forderungen fiel, versteht sich von selbst. Wenn das nicht die
Haltung eines Mitverschworenen war, so war es zum Mindesten die eines