Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

546 Ilebersicht der Eraignĩsse: des Fahres 1870. 
erst 5 Wochen später zu erlängen, als endlich im tiefsten Geheimniß das 
Ministerium Hohenwart-Habietinek-Schäffle zu Stande gekommen war. 
Mittlerweile hatte Graf Beust zwei neue Veranlassungen zu regster biplo- 
matischer Thätigkeit- gefunden, das war einmal die Pöntusfrage,! voni der 
wir“ nachher sprechen werden, und sodann das Verhältniß Oesterreichszum 
neuen deutschen Reich Nachdem vertraulichs, Anfragen preußischerseits!. am 
Wiener Hofe die günstigste Beantwortung gefunden, machte? ihm Graf 
Bismarck in einer Depesche vom 14. December formelle Anzeige von der 
Neugestaltung der deutschen Dinge und schloß daran den Au#druck der 
Zuversicht: „Deutschland und Oesterreich -Ungarn werden imit Gefühlen 
des gegenseitigen Wohlwollens auf einander blicken und sich zur. Förderüng 
der Wohlfahrt und des Gedeihens beider Länder die Hand reichem " Dar- 
auf antwortete der Graf Beust unter dem 26. December, eine Erörktrün 
des Prager Friedens ganz zu vermeiden, liege im beidersseitigen- Interesse: 
„die Einigung Deutschlands unter Preußens Führung sei ein Akt- von 
historischer Bedeutung, eine Thatsache ersten Ranges in der modernei Ent- 
wicklung Europa's“; „in allen maßgebenden Kreisen Oesterreich! Ungarns 
herrsche der aufrichtigste Wunsch vor, mit diesem mächtigen Staatswesen 
die besten und“ freundschaftlichsten Beziehungen zu pflegen"; der Kniser 
persönlich werde „freien und hohen Sinnes die erhebenden Erinnerungen, 
die seine Dynastie in der glanzvollen Geschichte von Jährhunderteit mit 
den Geschicken des deutschen Volkes verbunden, nicht anders auffassen, als 
mit den wärmsten Shmpathien für die fernere Entwicklung dieses Volkes 
und mit dem rückhaltlosen Wunsche, daß es in den neuen Formen! seines 
staatlichen Daseins die wahrete Bürgschaften einer glücklichen für seine ei: 
gene, wie für die Wohlfahrt des ihm in geschichtlicher Tradition, in Sprache, 
Sitte und Recht so vielfach verwandten Kaiserstaates gleich segensreichen 
Zukunft finden möge". Dies Actenstück war bedeutsam, durch das, was 
es sagte, noch bedeutsamer, scheint uns, durch däs, was es nicht sagte= 
Die preußische Depesche hatte gesagt: der Prager Friede ist zerrissen, nicht 
durch Preußen, sondern durch den freien Willen der süddeutschen Staaten 
selber, deren Selbstbestimmung zu wahren n#eben der Artikel IV jenes Ver- 
trags bestimmt war. War es Oesterreich mit seinem Wohlwollen gegen 
das neue Reich wahrhaft ernst, so brauchte es nur zu erklären: so ist es, 
was uns biöher trennte und entzweite, der Artikel IV des Prager Frie 
dens, besteht für uns nicht mehr. Das aber erklärte die österreichische 
Antwort nicht, vielmehr vermied sie ohne beruhigende Motivirung eine
	        
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